8 35. Die Provinzial= und Bezirksbehörden. 105
gangspunkt bildete die Kr. O. v. 13/12.1872 für die Provinzen Preußen, Pommern, Branden-
burg, Sachsen und Schlesien, welche für diese Provinzen die bevorzugte Stellung der Ritter-
gutsbesitzer in den Kreistagen beseitigte und die gutsherrliche Polizei aufhob, im Kreisaus-
schusse ein neues Organ für die kommunale wie für die staatliche Kreisverwaltung und in den
Amtsvorstehern neue Organe für die örtliche Polizeiverwaltung schuf und gleichzeitig die Grund-
lage für die Verwaltungsgerichtsbarkeit legte.
Im Anschlusse an die Kr. O. v. 13/12. 1872 wurde die Verfassung und Verwaltung der
oben erwähnten fünf — bezw. nach der durch das G. v. 19/3. 1877 (G.S. S. 107) erfolgten
Theilung des Provinz Preußen — sechs Provinzen neu geregelt durch die Pr. O. v. 29/6. 1875,
nach welcher der Provinziallandtag, der früher aus Vertretern der drei Stände, des Grund-
adels, der Städte und der Landgemeinden zusammengesetzt war, nunmehr aus gewählten Ver-
tretern der zur Provinz gehörigen Stadt= und Landkreise besteht und die Kommunalangelegen-
heiten der Provinz durch einen vom Provinziallandtag gewählten Provinzialausschuß besorgt
werden. Gleichzeitig schuf die Provinzialordnung für die Wahrnehmung der Geschäfte der all-
gemeinen Landesverwaltung in Bezirk und Provinz besondere aus Berufsbeamten und Ehren-
beamten gemischte Kollegien — den Provinzialrath und Bezirksrath — unter dem Vor-
sitze des Oberpräsidenten, bezw. Regierungspräsidenten.
Nachdem in der Kr.O. v. 13/12. 1872 die Grundlage der Verwaltungsgerichtsbarkeit
gelegt und insbesondere der Kreisausschuß für eine Reihe von Streitigkeiten über öffentliche
Rechte und Pflichten zum Verwaltungsgericht erster Instanz bestellt worden war, baute das
G. v. 3/7. 1875 betr. die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitver-
fahren (G. S. S. 393 f.) diese Einrichtung weiter aus, indem es für jeden Regierungsbezirk
Bezirksverwaltuungsgerichte schuf, die theils mit Berufsbeamten, theis mit Ehrenbe-
amten besetzt waren und das Oberverwaltungsgericht in Berlin als obersten Verwalt-
ungsgerichtshof für die ganze Monarchie errichtete. Das Z. G. v. 26/7. 1876 (G.S. S. 297)
regelte sodann die materielle Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte und der Verwaltungsbe-
hörden, insbesondereder neu geschaffenen Beschlußbehörden (Bezirksrath und Provinzialrath).
Einen gewissen Abschluß der Verwaltungsreform sollte das Gesetz über die Organisation
der allgemeinen Landesverwaltung v. 26 7.1880 (G. S. S. 291) bringen, welches zunächsteine
Anzahl in verschiedenen Gesetzen (Kreisordnung, Provinzialordnung, Verwaltungsgerichtsgesetz,
Zuständigkeitsgesetz) zerstreuter organisatorischer Bestimmungen zusammenfaßte, die Grundlage
der Organisation der allgemeinen Landesverwaltung feststellte und endlich das sog. Beschluß-
verfahren, das Polizeiverordnungsrecht, die Rechtsmittel gegen polizeiliche Verfügungen und
das Verwaltungszwangsverfahren neu regelte 1). Schon nach einigen Jahren sah sich jedoch
die Staatsregierung (Minsterium des Innern)genöthigt, Abänderungen dernenen Verwaltungs-
gesetze beim Landtage zu beantragen. In Folge dessen erging das Gesetz über die allgemeine
Landesverwaltung v. 30/7. 1883 (G. S. S. 120 ff.) mit dem dazu gehörigen G. v. 1/8. 1883
(G. S. S. 237 ff.) über die Zuständigkeit der Verwaltungs= und Verwaltungsgerichtsbehörden.
Die wichtigste Aenderung, welche das G. v. 30/7. 1883 vornahm war die, daß das Bezirks-
verwaltungsgericht und der Bezirksrath in eine einheitliche Behörde — den Bezirksaus-
schuß — verschmolzen wurden, der nun eine doppelte Stelluug hat, indem er sowohl Ver-
waltungsgericht, wie Beschlußbehörde ist. Im Uebrigen enthält das Landesverwaltungsgesetz
im Wesentlichen eine Ueberarbeitung des Org. G. v. 26/7. 1880 und des Verw.G.G. v. 3/7.
1875, von denen das erstere ganz, das letztere bis auf wenige auf das Oberverwaltungsgericht
sich beziehende Artikel durch das Landesverwaltungsgesetz ersetzt ist.
1) Zur Kr.O. v. 13/12. 1872 erging am 19/3. 1881 eine Novelle. Durch Bekanntmachung vom
19/3. 1881 (G. S. S. 179 ff.) wurde die Kr.O. in neuer Fassung bekannt gegeben. Ebenso erging zur
Pr.O. v. 29/6. 1875 am 22/3. 1881 eine Novelle, worauf die Pr. O. in neuer Fassung am 22/3. 1881
bekannt gemacht wurde (G. S. S. 233 ff.)