§ 35. Die Provinzial- und Bezirksbehörden. 109
ledigung nicht den Ministern selbst aus höheren politischen Rücksichten vorbehalten werden
mußte. Deshalb wurde dem Oberpräsidenten die Stellung einer selbstständig entscheidenden
Behörde eingeräumt, aber nicht in der Form einer Mittelinstanz zwischen Regierung und
Ministerium, sondern in der Weise, daß ihm in der Regel die endgültige Entscheidung über-
tragen wurde. Indem das Institut der Oberpräsidenten in dem angedeuteten Sinne reorganisirt
und den Oberpräsidenten gleichzeitig im Provinzialrath eine neue Provinzialbehörde zur
Seite gestellt wurde, stellte sich namentlich auch die Nothwendigkeit heraus, den Oberpräsidenten
von dem Präsidium der Regierung zu entbinden, an deren Sitz er seinen Wohnort hat, da diese
Verbindung mit der Stellung des Oberpräsidenten als einer den Regierungen bezw. den Re-
gierungspräsidenten vorgesetzten Behörde nicht mehr verträglich ist. L.V.G. § 17.
Nach den Reformgesetzen bestehen demnach zwei Provinzialbehörden für die allgemeine
Landesverwaltung: A. der Oberpräsident, B. der Provinzialrath. Da nach dem G.
v. 19/5. 1889 über die allgemeine Landesverwaltung und die Zuständigkeit der Verwaltungs-
und Verwaltungsgerichtsbehörden in der Provinz Posen das L.V.G. v. 30/7. 1883 und das
Z.G. v. 1/8. 1883 auch in dieser Provinz in Kraft getreten ist, so ist nunmehr die Organisation der
Provinzialbehörden in der ganzen preußischen Monarchie dieselbe. Eine besondere Stellung
nehmen jedoch die hohenzollern'schen Lande ein. Nach § 5 L.V.G. tritt nämlich in den
hohenzollern'schen Landen, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen, an die Stelle des Ober-
präsidenten und des Provinzialraths der zuständige Minister, jedoch vorbehaltlich der den rheini-
schen Provinzialbehörden und der Regierung, bezw. dem Regierungspräsidenten durch die V. v.
7/1.1852 (G. S. S. 35) übertragenen Zuständigkeiten. Nach dieser Verordnung stehen nämlich
die hohenzollern'schen Lande in betreff der Konsistorial-, Schul-, Medicinal= und Bergangelegen-
heiten unter der Leitung des Konsistoriums, Provinzialschulkollegiums, Medicinalkollegiums
und Oberbergamts der Rheinprovinz. In militärischer Beziehung sind sie dem VIII. Armee-
korps zugetheilt, wobei, soweit die Mitwirkung des Oberpräsidenten einzutreten hat, diese durch
den Oberpräsidenten der Rheinprovinz ausgeübt wird. Ferner haben die V. vom 7/1. 1852,
bezw. der A. E. v. 18/1. 1854 die Regierung von Sigmaringen direkt dem Ministerium unter-
stellt (labgesehen von den Militärangelegenheiten) und bestimmt, daß der Wirkungskreis der
Regierung die Verwaltung aller derjenigen Angelegenheiten umfaßt, die in den übrigen Theilen
der Monarchie den Oberpräsidenten zu eigener Verwaltung oder in Stellvertretung der obersten
Staatsbehörden, den Regierungen, Provinzialsteuerdirektionen und Auseinandersetzungsbe-
hörden überwiesen sind, sofern nicht eine ausdrückliche Ausnahme hiervon angeordnet ist.
Neben dem Oberpräsidenten und dem Provinzialrath sind noch als mit dem Oberpräsi-
denten in Verbindung stehende Provinzialbehörden zu erwähnen: 1. die Provinzialsteuer-
direktionen, 2, die Provinzialschulkollegien, 3. die Medicinalkollegien.
1. Der Oberpräsident. Der Oberpräsident steht an der Spitze der Provinz zur
Führung der Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung, soweit dieselben nicht anderen Be-
hörden überwiesen sind; er handelt innerhalb seines Geschäftskreises selbstständig unter voller
Verantwortlichkeit und ist nur in gewissen Fällen an die Zustimmung des Provinzialraths ge-
bunden. Da der Oberpräsident, abgesehen von seiner Stellung gegenüber dem Provinzialrathe
als Einzelbeamter handelt, so bearbeiten die demselben beigegebenen Beamten (Oberpräsidial-
rath und sonstige Räthe und Hilfsarbeiter) die Geschäfte nach seinen Anweisungen. (L.V.G.
§§ 3 und 8.)
Die Stellvertretung des Oberpräsidenten erfolgt gemäß § 9 L.V.G. in Fällen der Be-
hinderung durch den Oberpräsidialrath, soweit sie nicht für einzelne Geschäftszweige durch be-
sondere Vorschriften geregelt ist, wie z. B. hinsichtlich des Vorsitzes im Medicinalkollegium
(64 Abs. 2 Instr. v. 23/10. 1817) und bezüglich seiner Stellung als königlicher Kommissarius
gegenüber dem Provinziallandtage (§ 26 a. Pr.O.).