Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

§ 37. Die Rechtspflege und die Justizverwaltung. 127 
und nur aus den Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, dauernd oder 
zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in Ruhestand versetzt werden 
können. « 
3. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahms- 
gerichte sind unstatthaft (Art. 7 V.U. § 16 R.G.V. G.). Nicht betroffen werden durch das Ver- 
bot der Ausnahmsgerichte die gesetzlichen Bestimmungen über Kriegsgerichte und Standrechte. 
Ebenso fallen unter den Begriff des gesetzlichen Richters die besonderen Gerichte, die durch Art. 
14 R.G.V.G. zugelassen sind. Im Zusammenhang mit dem Grundsatze, daß Niemand seinem 
gesetzlichen Richter entzogen werden soll, steht die Bestimmung des § 17 G.V.G., daß die Ge- 
richte über die Zulässigkeit des Rechtswegs entscheiden und daß die Entscheidung von Kompe- 
tenzkonflikten nur durch Kompetenzkonflikts-Gerichtshöfe stattfinden kann, deren Einrichtung und 
Verfahren den Vorschriften des § 17 a. a. O. entsprechen muß. 
II. Die Gerichtsorganisation beruht auf dem Reichsgerichtsverfassungsgesetze nebst 
dem dazu gehörigen Einführungsgesetze. Durch die Reichsgesetzgebung sind aber nur die Grund- 
züge der zur Durchführung der einheitlichen Prozeßordnungen erforderlichen Organisation der 
Gerichte festgestellt. 
Reichsgesetzlich sind nämlich die Arten der Gerichte, die die Rechtspflege in bürgerlichen 
Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen nach Maßgabe der Prozeßordnungen auszuüben haben, 
bindend für die Einzelstaaten des Reichs festgestellt, und deren Zusammensetzung und Eintheilung 
und deren sachliche Zuständigkeit geregelt. Dagegen wurde die Durchführung der Gerichtsein- 
richtungen im Einzelnen, die Abgrenzung der Bezirke, die Anstellung des Personals, die Be- 
stimmung der Gehalte, die Festsetzung der Geschäftsordnungen, die Dienstaufsicht u. s. w. den 
Einzelstaaten überlassen. In Preußen ist diese Regelung durch das Ausf.G. z. R.G.V.G. v. 
24/4. 1878 (G.. S. 230 ff.) erfolgt. 
Die Gerichte sind, abgesehen vom Reichsgerichte, nach Maßgabe des Reichsgerichtsver- 
fassungsgesetzes Landgerichte. Bei der gleichmäßigen Organisation der Gerichte im ganzen Reiche 
ergab sich nun wiederholt die Nothwendigkeit oder doch Zweckmäßigkeit, die Gebiete verschiedener 
Staaten gemeinschaftlichen Gerichten zu unterstellen. Da nun nach Art. 86 u. 87 V. Ul alle 
Gerichtsbarkeit im preußischen Staate durch preußische Gerichte ausgeübt werden muß, erging 
ein G. v. 19/2.1879 (G. S. S. 18) das einen Art. 87 der Verfassungsurkunde beifügte, des 
Inhalts, daß bei der Bildung gemeinschaftlicher Gerichte für preußische Gebietstheile und Ge- 
biete anderer Bundesstaaten Abweichungen von den Bestimmungen des Art. 86 und des ersten 
Absatzes im Art. 87 zulässig sind. Auf Grund dieser Bestimmung sind eine Anzahl von Ver- 
trägen abgeschlossen worden, inhaltlich deren die Vereinigung preußischer und außerpreußischer 
Gebietstheile entweder in der Weise stattgefunden hat, daß preußischen Gerichten eine Gerichts- 
barkeit im Gebiete anderer Staaten eingeräumt wurde, wobei die fremden Staaten zu den 
Kosten beitragen und zum Theil einige Richterstellen bei den betr. preußischen Gerichten zu be- 
setzen haben, oder so, daß gemeinschaftliche Gerichte der betheiligten Staaten errichtet wurden #. 
— 
  
1) Die abgeschlossenen Verträge sind folgende: a) mit Oldenburg v. 20/8. 1878, G.S. 1879 
S. 165; b) mit Schwarzburg-Sondershausen v. 7/10. 1878, G. S. 1879 S. 173; c) mit Anhalt v. 
9/10. 1878, G. S. 1879 S. 182; ch mit Lippe v. 4/1. 1879, G.S. S. 219; e) mit Sachsen- 
Meiningen und Sachsen-Koburg-Gotha v. 17/10. 1878, G. S. 1879 S. 189; 1) mit Sachsen-Meiningen 
und Schwarzburg-Rudolstadt v. 17/10. 1878, G. S. 1879 S. 196; 8) mit den thüringischen Staaten 
v. 19/2. 1877 und 23/4. 1878, G. S. 1879 S. 202. — Auf Grund dieser Verträge sind unterstellt 
dem Amtsgerichte zu Lippstadt das lippe'sche Amt Lipperode und das Stift Kappel, dem Landgerichte 
zu Saarbrücken das oldenburgische Fürstenthum Birkenfeld, dem Landgerichte zu Erfurt das Fürsten- 
thum Schwarzburg-Sondershausen, dem Oberlandesgerichte zu Naumburg das Herzogthum Anhalt und 
dem Oberlandesgerichte zu Celle das Fürstenthum Lippe. Gemeinschaftliche Gerichte wurden gebildet 
im Landgerichte zu Meiningen für die sachsen-meining'schen Kreise Meiningen, Hildburghausen und 
Sonneberg, die preußischen Kreise Schleusingen und Schmalkalden und das Herzogthum Koburg, ferner
	        
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