§ 38. Begriff und Arten des Staatsdienstes. 137
V. Kapitel.
Der Staatsdienst.
§ 38. Begriff und Arten des Staatsdienstes 1). I. Die zahlreichen persönlichen Dienst-
leistungen, die der Staat zur Erfüllung seiner Zwecke nothwendig hat, kann er sich in doppelter
Weise verschaffen. Er kann seinen Unterthanen die Pflicht auferlegen, ihm die Dienste zu leisten
oder er kann es seinen Unterthanen, bezw. auch Dritten überlassen, die Leistung der Dienste
freiwillig zu übernehmen.
Ein den Unterthanen gegenüber geübter rechtlicher Zwang zur Leistung persönlicher
Dienste ist der Natur der Sache nach nur in engen Grenzen möglich. Zunächst können nur
solche Dienstleistungen erzwungen werden, die eine technische oder wissenschaftliche Vorbildung
nicht verlangen und außerdem nur solche gemessene Dienste von kurzer Dauer, die dem Ver-
pflichteten die Erfüllung seines wirthschaftlichen Berufes nicht unmöglich machen. In Folge dessen
ist der Zwangsdienst beschränkt auf die Wehrpflicht, den Geschworenen= und Schöffendienst, die
Uebernahme unbesoldeter Kommunalämter und ähnliche Dienstleistungen, welche die Arbeits-
kraft des Verpflichteten nicht dauernd ausschließlich in Anspruch nehmen.
Was die freiwillige Uebernahme von Dienstleistungen anlangt, so kann der Staat mit
den betr. Personen einen lediglich nach den Grundsätzen des Privatrechts zu beurtheilenden
Vertrag (Dienstmiethe, Mandat u. s. w.) abschließen. Es wird dies gewöhnlich bei Personen
geschehen, die niedere Dienste leisten, z. B. Eisenbahnarbeiter und dergl., oder bei Personen,
die nur eine einzelne, genau bestimmte Leistung zu machen haben, wie z. B. bei Technikern, die
Bauten oder ähnliche Unternehmungen für den Staat ausführen.
Die im Mittelalter zur Geltung gelangte privatrechtliche Auffassung des Staatslebens
und der öffentlich-rechtlichen Verhältnisse hatte zur Folge, daß auch das Verhältniß der Be-
amten, d. h. derjenigen Personen, die dem Staate höhere Dienste dauernd mit Einsetzung ihrer
ganzen Arbeitskraft leisteten, zum Landesherren als ein rein privatrechtliches durch Vertrag
begründetes betrachtet wurde. Gegenwärtig ist darüber kein Zweifel, daß das Beamtenver-
hältniß ein öffentlich--rechtliches ist und daß die sich daraus ergebenden Pflichten und Rechte
öffentlich-rechtliche sind. Streit ist nur darüber, ob dieses öffentlich-rechtliche Verhältniß eben-
falls durch Vertrag zwischen dem Staate einerseits und dem künftigen Beamten andererseits
oder durch einseitige Verfügung seitens der Regierung begründet wird. Da im Gegensatze zu
den auf Grund einer rechtlichen Verpflichtung zu leistenden Diensten der besondere Charakter
des hier in Rede stehenden Staatsdienstes darin besteht, daß er freiwillig übernommen ist, so
kann die Begründung nur durch einen Vertrag erfolgen, in dem die Willensübereinstimmung
zwischen dem Staate einerseits und dem Beamten andererseits zum Ausdruck gelangt. Dieser
Vertrag ist ein öffentlich-rechtlicher. Dafür läßt sich allerdings nicht geltend machen, daß sein
Inhalt, die Rechte und Pflichten des Beamten, in der Hauptsache wenigstens durch Gesetz
oder Verordnung in bindender Weise ein für allemal festgestellt ist?), denn dies kann auch bei
privatrechtlichen Verträgen vorkommen und trifft z. B. bei den von den Eisenbahnverwaltungen
abzuschließenden Transportverträgen zu. Ausschlaggebend ist vielmehr lediglich der Umstand,
daß das zu begründende Dienstverhältniß beiderseits als ein öffentlich-rechtliches gewollt ist.
Welche Dienstverhältnisse, weil durch privatrechtliche Uebereinkunft begründet, lediglich
nach dem Privatrechte zu beurtheilen sind und welche, weil auf öffentlich-rechtlichem Vertrage
1) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., III. S. 398 ff. — Schulze,
das preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., I, S. 297 ff. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, II, S. 1 ff. —
Harseim, Art. Beamte in Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts, I, S. 136. — Grotefend,
Preuß. Verw.-Recht, I, S. 402 ff. — Rehm, die rechtliche Natur des Staatsdienstes nach deutschem
Staatsrechte, Hirth's Annalen 1884 S. 565 ff., 1885, S. 65 ff.
2) Wie z. B. Seydel, Bayer. Staatsrecht, III. S. 327 behauptet.