158 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. V. Kapitel. § 44.
dann, wenn die strafgerichtliche Verurtheilung die Dienstentlassung zur Folge hat, ist das
Disciplinarverfahren, weil zwecklos, ausgeschlossen, da die schwerste Disciplinarstrafe ebenfalls
nur Dienstentlassung ist.
Zweck der Disciplinarstrafen ist, die Beamten zur Erfüllung ihrer Standes= und Dienst-
pflichten zu zwingen und den Beamtenstand von unfähigen und unwürdigen Elementen zu
säubern. Die Verhängung der Disciplinarstrafen in einem förmlichen Verfahren soll aber dem
Beamten Schutz gewähren gegen willkürliche Anwendung der Disciplinarstrafgewalt.
In Hinblick auf den Zweck der Disciplin lassen die sogen. Disciplinarvergehen eine so
genaue Formulirung des Thatbestandes nicht zu wie die kriminellen Delikte. Ebenso muß auch
die Auswahl und Abmessung der im einzelnen Falle zur verhängenden Strafe im Wesentlichen
dem Ermessen der Disciplinarstrafbehörde überlassen bleiben. Man kann nur soviel sagen,
daß jede Verletzung der Pflichten, welche die Zugehörigkeit zum Beamtenstand und das über-
tragene Amt dem Beamten auferlegen, ein Dienstvergehen ist, und daß ein solches auch dann
vorliegt, wenn der Beamte sich durch sein Verhalten in und außer dem Amte der Achtung, des
Ansehens und des Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwürdig zeigt.
Aus dem Zwecke des Disciplinarstrafverfahrens ergiebt sich ferner, daß dasselbe ausge-
schlossen ist, wenn der Beamte sich nicht mehr im Beamtenverhältnisse befindet; derselbe muß
aber aus dem Beamtenstande völlig ausgeschieden sein, was bei pensionirten und zur Verfügung
gestellten Beamten nicht der Fall ist.
Deshalb bestimmt auch § 2 des Discipl.G. v. 21/7. 1852, daß als Dienstvergehen an-
zusehen sind 1. die Verletzung der Pflichten, welche das Amt dem Beamten auferlegt, und 2.
wenn derselbe sich durch sein Verhalten in oder außer dem Amte der Achtung, des Ansehens
oder des Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwürdig zeigt. Ist eine solche Handlung zu-
gleich in den gemeinen Strafgesetzen vorgesehen, so können die durch dieselben angedrohten
Strafen nach § 3 a. a. O. nur auf Grund des gewöhnlichen Strafverfahrens von den ordent-
lichen zuständigen Gerichten erkannt werden!).
III. Die Disciplinarstrafen zerfallen in 1. Ordnungsstrafen und 2. eigentliche
Disciplinarstrafen. Ordnungsstrafen sind a) Warnung, b) Verweis, c) gegen nicht-richterliche
*5 auch Geldstrafe, d) gegen untere Beamte auch Arreststrafe in der Dauer von höchstens
acht Tagen.
Eigentliche Disciplinarstrafen sind: 1. Versetzung in ein anderes Amt von gleichem
Range, jedoch mit Verminderung des Einkommens und Verlust des Anspruchs auf Umzugs-
kosten oder mit einem von beiden Nachtheilen (diese Strafe findet nur Anwendung bei un-
mittelbaren Staatsbeamten). 2. Dienstentlassung, welche Verlust des Titels und Pensions-
anspruchs von selbst nach sich zieht.
Welche dieser Strafen im einzelnen Falle zu verhängen ist, ist nach der größeren oder
geringeren Erheblichkeit des Dienstvergehens und mit Rücksicht auf die sonstige Führung des
Angeschuldigten zu ermessen (§8 15, 16 G. v. 7/5. 1851, §§ 15, 16 G. v. 21/7. 1852, § 1
G. v. 26/5. 1850).
Hinsichtlich der Verhängung von Disciplinarstrafen und des Disciplinarstrafverfahrens
ist zu unterscheiden je nachdem es sich um nicht-richterliche oder um richterliche Beamten handelt.
1. Die nicht-richterlichen Beamten. Zu Warnungen und Verweisen gegen seine
Untergebenen ist jeder Dienstvorgesetzte befugt. Was die Geldstrafen betrifft, so können die
1) Dies schließt jedoch nicht aus, daß nach Freisprechung des Angeschuldigten oder wenn eine
nicht mit dem Verluste des Amts verbundene Verurtheilung erfolgt ist, noch ein Disciplinarverfahren ein-
geleitet wird, um festzustellen, ob nicht dennoch eine Disciplinarstrafe ungeachtet der Freisprechung oder
neben der erkannten Strafe zu verhängen sei (88 4, 5 G. v. 21/7. 1852).