Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

8 44. Die Disciplin und das Defektenverfahren. 159 
Vorsteher derjenigen Behörden, die unter den Provinzialbehörden stehen, einschließlich der 
Landräthe, gegen die ihnen untergebenen Beamten Geldstrafen bis zu 9 M., die Provinzial- 
behörden bis zum Betrage von 90 M. gegen besoldete Beamte, jedoch nicht über den Betrag 
des einmonatlichen Einkommens hinaus, die Minister bis zum Betrage des einmonatlichen 
Diensteinkommens, bei unbesoldeten Beamten bis zu 90 M. verhängen. Die Vorgesetzten, 
welche Geldstrafen verhängen können, sind auch zur Festsetzung von Arreststrafen befugt und 
zwar die Vorsteher der unter den Provinzialbehörden stehenden Behörden nur bis zu drei Tagen. 
Gegen die Anordnung der Ordnungsstrafen ist allein die Beschwerde im vorgeschriebenen In- 
stanzenzuge zulässig (88 18—21 G. v. 217. 1852). 
Die eigentlichen Disciplinarstrafen können dagegen nur auf Grund eines förmlichen 
Disciplinarverfahrens verhängt werden, das sich aus der von einem Kommissarius zu führenden 
schriftlichen Voruntersuchung und der mündlichen Verhandlung zusammensetzt. Zuständig sind 
für Beamte, zu deren Anstellung eine vom Könige oder von einem Minister ausgehende Er- 
nennung, Bestätigung oder Genehmigung erforderlich ist, der aus 11 Mitgliedern — darunter 
vier richterliche — bestehende und im Einzelfall mit 7, bezw. 2 richterlichen Mitgliedern zu 
besetzende Disciplinarhof in Berlin, für die übrigen Beamten, die ihnen vorgesetzten Dis- 
ciplinarbehörden, welche die Disciplinarsachen in besonderen Plenarsitzungen unter Theilnahme 
von mindestens drei stimmberechtigten Mitgliedern erledigen. Das Staatsministerium bildet 
die Disciplinarbehörde zweiter Instanz. Die Einleitung des Disciplinarverfahrens wird im 
ersteren Falle von dem betr. Departementschef, im letzteren vom Vorsteher der Provinzialbe- 
hörde, welche als Disciplinargericht fungirt, oder vom zuständigen Minister verfügt. 
Der die Einleitung verfügende Beamte ernennt gleichzeitig den Untersuchungskommissar 
zur Führung der schriftlichen Voruntersuchung und einen Beamten als Vertreter der Staats- 
anwaltschaft. In der Voruntersuchung werden die Zeugen eidlich und außerdem der erschienene 
Angeschuldigte, unter Zuziehung eines vereidigten Protokollführers vernommen. Nach dem 
Ausfalle der Voruntersuchung kann der Minister auf Bericht der Behörde, welche die Einleit- 
ung des Verfahrens verfügt hat, das weitere Verfahren einstellen oder gegebenen Falles nur 
eine Ordnungsstrafe verhängen. Wird das Verfahren nicht eingestellt, so erfolgt die Ladung 
des Angeschuldigten unter abschriftlicher Mittheilung einer vom Beamten der Staatsanwalt= 
schaft anzufertigenden Anschuldigungsschrift zur mündlichen Verhandlung vor die als Discipli- 
nargericht fungirende Behörde. 
Die mündliche Verhandlung beginnt mit einem Referate, das ein vom Vorsitzenden aus 
der Zahl der Mitglieder der Behörde ernannter Referent erstattet. Darauf folgt die kontra- 
diktorische Verhandlung. Eine nochmalige Beweiserhebung findet in der Regel nicht statt; 
doch kann zur weiteren Aufklärung der Sache die Beschaffung von neuem Beweismaterial, 
insbesondere die Vernehmung von Zeugen, entweder von der Behörde selbst, oder von dem 
Kommissär beschlossen werden. Der Angeschuldigte kann in der mündlichen, jedoch nicht öffent- 
lichen Verhandlung unter dem Beistande eines Rechtsanwalts als Vertheidiger erscheinen, oder 
sich durch einen solchen vertreten lassen. Der Behörde bleibt es jedoch unbenommen, das per- 
sönliche Erscheinen des Angeschuldigten unter der Verwarnung anzuordnen, daß im Falle seines 
Ausbleibens ein Rechtsanwalt als Vertreter nicht werde zugelassen werden. Das Ausbleiben 
des Angeschuldigten hindert jedoch das Stattfinden der mündlichen Verhandlung selbst nicht. 
Die Disciplinarbehörde fällt unter freier Beweiswürdigung die mit Gründen zu versehende 
Entscheidung, die auch auf eine Ordnungsstrafe lauten kann. 
Gegen die Entscheidung kann sowohl der Angeschuldigte, wie der als Staatsanwalt 
sungirende Beamte innerhalb einer vierwöchigen Frist, welche mit der Verkündigung der Ent- 
scheidung, oder, wenn der Angeschuldigte in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war, 
mit der Zustellung an ihn beginnt, die Berufung an das Staatsministerium ergreifen. Zur 
Begründung der Berufung hat der Appellant und zur Wiederlegung der Rechtfertigung
	        
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