160 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. V. Kapitel. 8 44.
der Apellat eine weitere vierzehntägige Frist. Beide Fristen können unter Umständen ver—
längert werden. Nach Ablauf der Fristen werden die Akten dem Staatsministersium ein-
gesandt, welches in den von den Provinzialbehörden eingehenden Sachen nach Vortrag
eines Referenten und nach Einholung eines Gutachten des Disciplinarhofes, in den vor
dem Disciplinarhofe verhandelten Sachen aber auf den Vortrag zweier Referenten, von
denen einer dem Justizministerium angehören muß, die Entscheidung trifft. Lautet die Ent-
scheidung oder das Gutachten des Disciplinarhofs auf Freisprechung des Angeschuldigten
oder nur auf Warnung oder Verweis, so kann das Staatsministerium, wenn es den Ange-
schuldigten strafbar findet, nicht die Strafe der Dienstentlassung, sondern nur eine geringere
Disciplinarstrafe verhängen oder die einstweilige Versetzung in den Ruhestand mit Wartegeld
verfügen. Jede rechtskräftige Entscheidung der Disciplinarbehörde, welche auf Dienstentlassung
lautet, bedarf der Bestätigung des Königs, wenn der Beamte vom Könige ernannt oder be-
stätigt worden ist (G. v. 21/7. 1852 §§ 30—47).
Beamte, welche auf Probe, auf Kündigung oder sonst auf Widerruf angestellt sind,
können ohne förmliches Disciplinarverfahren von der Behörde, die ihre Anstellung verfügt hat,
Referendare wegen unwürdigen Verhaltens oder nicht genügenden Fortschreitens in ihrer Aus-
bildung vom Minister nach Anhörung der Provinzialdienstbehörde entlassen werden. Ueber die
Entlassung von Kanzleidienern, Boten, Kastellanen und ähnlichen Dienern, die keiner Provinzial-
dienstbehörde untergeordnet sind, entscheidet der Minister nach Anhörung des Angeschuldigten
und auf den Vortrag zweier Referenten, zu denen stets ein Justiziar oder ein Rath des Justiz-
ministeriums gehören muß (G. v. 21/7. 1852 §§ 83—86).
2. Die richterlichen Beamten. Zu den richterlichen Beamten gehören im Sinne
des G. v. 7/5. 1851 §§ 65—77 auch die Präsidenten, Dirigenten und übrigen Mitglieder
des Oberlandeskulturgerichts, der Generalkommissionen und landwirthschaftlichen Regierungs-
abtheilungen, sowie der Generalauditeur der Armee, die übrigen Mitglieder des Generalaudi-
toriats und die Auditeure. Ferner hat das G. v. 27/3.1873 §5 bestimmt, daß die Mitglieder
der Oberrechnungskammer den Vorschriften der Gesetze über die Dienstvergehen der Richter
unterliegen.
Als Dienstvergehen ist anzusehen a) die Verletzung der Pflichten, welche das Amt dem
Richter auferlegt; b) wenn der Richter sich durch sein Verhalten in oder außer dem Amte der
1) Was die Beamten der Justizverwaltung, die kein Richteramt bekleiden, anlangt, so kommen
auf dieselben die Vorschriften des G. v. 21/7. 1852, nicht das G. v. 7/5. 1851 zur Anwendung. Nach
§ 56 G. v. 21/7. 1852 kann aber der Justizminister gegen alle diese Beamten Ordnungsstrafen jeder
Art, Geldstrafen bis zum Betrage des einmonatlichen Diensteinkommens und bei unbesoldeten Beamten
bis zu 90 Mark verhängen (abgesehen von Rechtsanwälten und Notaren). Nach § 57 a. a. O. ist der
Oberstaatsanwalt bei einem Oberlandesgerichte befugt, gegen alle im Bezirke des Oberlandesgerichts
angestellten Beamten der Staatsanwaltschaft Warnungen und Verweise gegen die Beamten der Staats-
anwaltschaft bei den Amtsgerichten und Schöffengerichten gegen die nicht ihr Amt als Ehrenamt ver-
sehenden Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft, ferner gegen Bureaubeamte und Unterbeamte, welche
unter der alleinigen Aufsicht der Staatsanwaltschaft stehen, Geldstrafen bis zu 90 Mark zu verhängen
(§8§ 16, 19 G. v. 19/4. 1879). Aehnliche Befugnisse haben die landgerichtlichen Staatsanwälte gegen
die ihnen untergebenen Beamten (§ 58 G. v. 21/7. 1852, §8 16, 19 G. v. 19/4. 1879). Außer dem
Justizminister sind die Vorgesetzten der Justizbehörden befugt, von Amtswegen und auf Antrag der
Staatsanwaltschaft gegen Bureau= und Unterbeamte der Gerichte Ordnungsstrafen (Geldstrafen jedoch
nur bis zu begrenzter Höhe) zu verhängen (§ 59 G. v. 21/7. 1852). Die Gerichtsschreiber sind
Bureaubeamte im Sinne d. G. v. 21/7. 1852 (5 17 G. v. 19/4. 1879). Die Gerichtsvollzieher
stehen den Gerichtsschreibern gleich (§6 18 Abs. 1 G. v. 19/4. 1879). Die Disciplinargerichtsbarkeit
hinsichtlich der Rechtsanwälte bemißt sich lediglich nach der Rechtsanwaltsordnung v. 1/7. 1878.
Bezüglich der Notare ist auf § 21 G. v. 19/4. 1879 zu verweisen. Vgl. Rönne a. a. O., III,
S. 488 MNote 7.