§ 44. Die Disciplin und das Defektenverfahren. 161
Achtung, des Ansehens oder des Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwürdig zeigt (861
G. v. 7/5. 1851) 0.
Disciplinarstrafen sind 1. Warnung; 2. Verweis; 3. Versetzung in ein anderes Richter-
amt von gleichem Range, jedoch mit Verminderung des Diensteinkommens und Verlust des
Anspruchs auf Umzugskosten oder mit einem von beiden Nachtheilen; 4. Dienstentlassung 2).
Die Einleitung einer Disciplinaruntersuchung kann nur durch Beschluß des Disciplinar-
gerichts erfolgen, der indeß sowohl von Amtswegen, jedoch nach Vernehmung des Antrags
der Staatsanwaltschaft, als auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft gefaßt werden kann
(88 23, 24 d. G.).
Der Anwendung einer Disciplinarstrafe muß in allen Fällen eine mündliche — nicht
öffentliche — Verhandlung vor dem zuständigen Disciplinargerichte vorhergehen; ob dieselbe
durch eine von einem Richterkommissär zu führende Voruntersuchung oder in anderer Weise
vorzubereiten sei, bestimmt das Disciplinargericht (§ 17 d. G.).
Die bezüglich der richterlichen Beamten zuständigen Disciplinargerichte sind: a) der bei
dem Kammergerichte zu Berlin zu bildende große Disciplinarsenat in Ansehung der Präsidenten
und Senatspräsidenten der Oberlandesgerichte, der in der Besetzung von fünfzehn Mitgliedern
einschließlich des Vorsitzenden entscheidet; b) die bei den Oberlandesgerichten zu bildenden
Disciplinarsenate in Ansehung der Mitglieder der Oberlandesgerichte mit Ausschluß der Präsi-
denten und Senatspräsidenten und in Ansehung aller übrigen Richter des Gerichtssprengels
6 18 G. v. 7/5. 1851, §§ 4, 8 G. v. 9/4. 1879); die Disciplinarsenate entscheiden in der
Vesetzung von sieben Mitgliedern, einschließlich des Vorsitzenden. Bei ihrer Entscheidung sind
die Disciplinargerichte an Beweisregeln nicht gebunden, sondern sie haben nach ihrer freien,
aus dem ganzen Inbegriffe der Verhandlungen und Beweise geschöpften Ueberzeugung zu be-
urtheilen, inwieweit die Anschuldigung für begründet zu erachten sei; das Urtheil muß die
Entscheidungsgründe enthalten und dem Angeschuldigten auf sein Verlangen in Ausfertigung
mitgetheilt werden (§5 33 G. v. 7/5. 1851).
Gegen die von den Disciplinarsenaten der Oberlandesgerichte erlassenen Urtheile steht
der Staatsanwaltschaft und dem Angeschuldigten innerhalb vier Wochen die Berufung an den
großen Disciplinarsenat des Kammergerichts zu(§ 36 G. v. 7/5.1851 u. S§ 3 u. 8 G. v. 9/4. 1879).
Die Amtssuspension eines Richters tritt kraft Gesetzes ein: a) wenn im gewöhn-
lichen Strafverfahren seine Verhaftung beschlossen, oder gegen ihn ein noch nicht rechtskräftiges
Urtheil erlassen ist, welches auf den Verlust des Amtes lautet oder diesen kraft des Gesetzes
nach sich zieht; b) wenn im Disciplinarverfahren ein noch nicht rechtskräftiges Urtheil auf
Dienstentlassung ergangen ist (E 44 G. v. 7/5. 1851). Außerdem kann die Amtssuspension
vom Disciplinargerichte von Amtswegen nach Vernehmung der Staatsanwaltschaft oder auf
deren Antrag bei Erlaß des Beschlusses auf Einleitung der Disciplinaruntersuchung oder im
Laufe derselben, sowie auch dann beschlossen werden, wenn gegen einen Richter eine gewöhn-
liche Untersuchung eingeleitet ist, sofern dieselbe mit Rücksicht auf die Schwere des Dienstver-
gehens als angemessen erscheint (§ 46).
1) Bezüglich der Fälle, in denen eine als Dienstvergehen sich darstellende Handlung gleichzeitig
als gemeines Vergehen mit Strafe bedroht ist, enthält das G. v. 7/5. 1851 in §§ 2—4 dieselben Be-
stimmungen wie das G. v. 21/7. 1852.
2) Abgesehen von den Disciplinarstrafen steht nach § 13 G. v. 7/5. 1851 dem betreffenden
Dienstvorgesetzten das Recht zu, einem Richter, dem ein geringeres Dienstvergehen zur Last fällt, im
Aufsichtswege ohne Einleitung der Disciplinaruntersuchung, jedoch nach einer von ihm geforderten Er-
klärung auf die ihm durch sein Amt auferlegten Pflichten aufmerksam zu machen; der Richter hat aber
das Recht, dagegen auf Eröffnung der Disciplinaruntersuchung anzutragen (8 24 a. a. O.). Die
Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Oberlandeskulturgerichts, der Oberrechnungskammer und der
Generalauditeur der Armee unterliegen jedoch einer solchen Mahnung nicht (§ 14 Abs. 1 a. a. O.).
Handbuch des Oeffentlichen Rechts, II, Zweite Auflage: Preußen. 11