170 Drittes Buch: Die allgemeinen Funktionen der Staatsgewalt. I. Kapitel. § 47
Die Sanktion besteht in der Unterzeichnung der den Gesetzestext enthaltenden Urkunde
durch den König und der Gegenzeichnung derselben durch den Minister. Mit der Sanktion ist
das Gesetz als zu Stande gekommen zu erachten. Verbindlich für die Unterthanen wird aber
ein Gesetz erst mit der Publikation (Art. 106 V. U.)#).
Innerhalb welcher Frist die Sanktion der vom Landtage angenommenen Gesetzentwürfe
erfolgen muß, bezw. rechtlich noch zulässig ist, bestimmt die Verfassungsurkunde nicht. Es ist
jedoch allgemein anerkannt, daß nach Ablauf der Legislaturperiode die Sanktion eines in der-
selben angenommenen Gesetzentwurfs nicht mehr zulässig ist, weil mit diesem Zeitpunkte das
Abgeordnetenhaus, das seine Zustimmung zum Entwurfe gegeben hat, seine Existenz verliert,
von einer Zustimmung der beiden zur Zeit der Sanktion des Gesetzes vorhandenen Häuser
daher nicht mehr gesprochen werden könnte 2).
III. Damit das vom Könige sanktionirte Gesetz verbindlich sei, muß es nach Art. 106 V.U.
in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden sein. In dieser Hinsicht be-
stimmt nun zunächst Art. 44 V. U., daß der König die Verkündigung der Gesetze befiehlt; in
der Regel wird dieser Verkündigungsbefehl zeitlich mit der Sanktion zusammenfallen, rechtlich
ist er aber von ihm verschieden. Damit ein Gesetz als gehörig publizirt gilt, muß es nach dem
G. v. 3/4. 1846 (G. S. S. 151) in die Gesetzessammlung aufgenommen sein).
Um eine in der Gesetzessammlung verkündigte Anordnung als Gesetz betrachten zu kön-
nen, ist nothwendig, daß sie sich als vom Könige herrührender landesherrlicher Erlaß darstellt,
und daß der erfolgten Genehmigung der beiden Häuser des Landtags Erwähnung geschieht, da
ohne diese Genehmigung von einem Gesetze im Sinne des Art. 62 V. U. überhaupt nicht ge-
sprochen werden kann, der betr. Erlaß vielmehr nur als königliche Verordnung erscheinen würde.
Ebenso ist die Gegenzeichnung mindestens eines Ministers nothwendig, da nach Art. 44 V. U.
alle Regierungsakte zu ihrer Gültigkeit dieser Gegenzeichnung bedürfen. Der Zeitpunkt, mit wel-
chem das Gesetz in Kraft treten soll, kann im Gesetze selbst bestimmt sein; ist das nicht der Fall,
so beginnt dessen verbindliche Kraft mit dem 14. Tage nach dem Ablaufe desjenigen Tages, an
welchem das betreffende Stück der Gesetzsammlung in Berlin ausgegeben ist. (G. v. 16/6.1872
§ 1 Abs. 1. G. S. S. 23)7).
1) Die Sanktion und die Publikation fallen daher sowohl zeitlich wie begrifflich auseinander,
was namentlich im Falle eines Thronwechsels praktisch zu Tage treten kann.
2) Es kann in dieser Hinsicht wohl ein allgemeines, auch im Reiche anerkanntes Gewohnheits-
recht angenommen werden. Vgl. Rönne a. a. O. S. 392 N. 4. G. Meyer a. a. O. S. 470 f.
3) Vgl. den Art. „Gesetzblatt“ von Bornhak in Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts,
1., S. 581.
4) Nach dem G. v. 27/10. 1810 (G.S. S. 1) mußten alle Gesetze und Verordnungen, die mehr
als ein Regierungsdepartement betrafen, durch die Gesetz-Sammlung veröffentlicht werden. Die V. v.
8/3. 1811 (G. S. S. 165 führte sodann Amtsblätter zur Publikation der ein Departement allein be-
treffenden Anordnungen ein. Das G. v. 3/4. 1846 bestimmte den Zeitpunkt der Verbindlichkeit der Gesetze,
sofern im Gesetze selbst nichts darüber enthalten war, nach der Ausgabe des betreffenden Stücks verschieden
für die einzelnen Regierungsbezirke. Das G. v. 10/4. 1872 hat endlich hinsichtlich des Zeitpunkts der
Verbindlichkeit der Gesetze die im Texte enthaltene Bestimmung getroffen und außerdem vorgeschrieben,
daß in der Gesetz-Sammlung alle -Gesetze und königl. Verordnungen erfolgen sollen. Ausgenommen
sind jedoch die landesherrlichen Erlasse einschließlich der durch dieselben beglaubigten und genehmigten
Urkunden, sofern sie betreffen: 1. die Verleihung des Expropriationsrechts; 2. die Verleihung des Rechts
zur Entnahme von Chaussee= und Wegebau= und Unterhaltungsmaterialicn; 3. die Verleihung des
Rechts zur Erhebung von Chaussee= und Wegegeld; 4. die Statuten der Deichverbände und der Genossen-
schaften zu Meliorationen durch Entwässerung und Bewässerung; 5. die Ertheilung von Konzessionen
zum Bau und Betriebe von Eisenbahnen, sowie die Statuten der Unternehmer; 6. die Reglements für
die öffentlichen und Privat-Feuersocietäten; 7. die Reglements für die landschaftlichen Kreditvereine
und ähnliche Kreditinstitute; 8. die Einrichtung des Landarmen= und Korrigendenwesens; 9. die Privi-
legien zur Ausgabe von Papieren auf den Inhaber. Verordnungen dieser Art erhalten allein durch
die Publikation im Amtsblatt Rechtsverbindlichkeit.