176 Drittes Buch: Die allgemeinen Funktionen der Staatsgewalt. II. Kapitel. 8 50.
angenommenen Proposition XIII auf die Gesetze ebenso Anwendung findet, wie auf die Ver—
ordnungen.
II. Die Verbindlichkeit der Gesetze und königlichen Verordnungen ist nach Art. 106 V. U.
davon abhängig gemacht, daß sie in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemach-
worden sind. In dieser Beziehung schreibt nun das G. v. 3/4. 1846 § 1 vor, daß landesherr-
liche Erlasse, welche Gesetzeskraft erhalten sollen, dieselbe nur durch Aufnahme in die Gesetzes-
sammlung erlangen. Ob diese Publikation erfolgt und ob der Erlaß als landesherrlicher ver-
kündet ist, haben jedenfalls die Behörden zu prüfen. Ebenso ist zu prüfen, ob der Erlaß gegen-
gezeichnet ist, da ohne die Gegenzeichnung ein Regierungsakt des Königs nicht vorliegt. Da-
gegen ist nicht vorgeschrieben, daß im Eingange eines Gesetzes auf die vorherige Zastimmung
des Landtags, bezw. bei einer Nothverordnung auf Art. 63 V.U. Bezug genommen wird, wie-
wohl dies herkömmlich und auch wünschenswerth ist. Es kann sich daher das Prüfungsrecht
auch nicht auf diese Punkte beziehen, zumal ja eine derartige Anordnung auch ohne diese Be-
zugnahme doch unter allen Umständen die Bedeutung einer königlichen Verordnung hätte, die
in dieser Beziehung einer Prüfung durch die Behörde nicht unterliegt.
III. Die Prüfung der materiellen Rechtsgültigkeit gehörig verkündeter königlicher Ver-
ordnungen steht hiernach lediglich dem Landtage zu. Ein Beschluß des Landtags inhaltlich
dessen derselbe ausspricht, eine Verordnung, weil mit einem Gesetze im Widerspruche stehend,
sei nicht als rechtskräftig zu betrachten, würde jedoch trotzdem staatsrechtlich eine unmittelbare
Wirkung nicht äußern. Daß ein derartiger Beschluß die Verordnung nicht außer Kraft setzen
kann, ist selbstverständlich; aber auch eine Verpflichtung der Regierung dies zu thun bestehtt,
abgesehen von den Fällen des Art. 63 V. U., nicht, da sonst die Krone nicht mehr dem Land-
tage gleichgestellt, sondern untergeordnet wäre. Ob die Regierung nicht aus politischen Gründen
sich veranlaßt sieht, in einem solchen Falle die in ihrer Rechtsgültigkeit angefochtene Verord-
nung wieder außer Kraft zu setzen, ist natürlich eine andere Frage.
IV. Die Bestimmung, daß Verordnungen in Bezug auf ihre Rechtsgültigkeit dem
Prüfungsrechte der Behörden nicht unterliegen, bezieht sich bloß auf die königlichen Verord-
nungen, dagegen sind die Gerichte und überhaupt die Behörden nicht bloß berechtigt, sondern
auch verpflichtet die Rechtsgültigkeit anderer Verordnungen sowohl in formeller wie in materi-
eller Beziehung zu prüfen. Diese Prüfung erstreckt sich namentlich darauf, ob die Verordnung
in gehöriger Form bekannt gemacht, ob sie von der zuständigen Behörde innerhalb ihrer Zu-
ständigkeit erlassen sind und ob sie nicht mit Verordnungen höherer Instanzen oder mit Ge-
setzen im Widerspruch stehen.
V. Der Art. 106 V. U. bezieht sich selbstverständlich nicht auf das Verhältniß der
Landesgesetze zu den Reichsgesetzen. In dieser Beziehung ist lediglich Art. 2 R.V. maßgebend,
der bestimmt, daß Reichsgesetze den Landgesetzen vorgehen. Landesgesetze, die im Widerspruch
stehen mit Reichsgesetzen sind nichtig, soweit der Widerspruch besteht. Ob ein solcher Wider-
spruch vorhanden, muß aber das Gericht, bezw. die Behörde im einzelnen Falle prüfen 1).
II. Kapitel.
Die Verwaltung.
8 50. Allgemeines2). Justiz und Verwaltung. I. Während nach Art. 62 V. U.
die „gesetzgebende Gewalt“ gemeinschaftlich durch den König und durch zwei Kammern ausge-
1) Holtzendorff, Reichsstrafrecht und Landesstrafrecht in der allg. deutschen Strafrechtszeitung
I, S. 216 ff. — Heinze, das Verhältniß des Reichsstrafrechts zum Landesstrafrecht S. 25.
2) Rönne a. a. O., I, S. 415 ff. — Schulze a. a. O., I, S. 132 ff. — Bornhak a. a. O.
I., S. 432 ff.