§ 50. Allgemeines. Justiz und Verwaltung. 177
übt wird, bestimmt Art. 45 Abs. 1: „Dem Könige allein steht die vollziehende Gewalt zu.“
Diese Bestimmungen wie die Vorschrift in Art. 86, wornach die „richterliche Gewalt“ im
Namen des Königs durch unabhängige keiner anderen Autorität als der des Gesetzes unterworfene
Gerichte ausgeübt wird, beruhen auf dem im französisch-belgischen Verfassungsrechte zum Ausdruck
gelangten Prinzip der Theilung der Gewalten, haben aber, wie im § 11 dargelegt, den Grund-
satz des preußischen Staatsrechts, daß die gesammte Staatsgewalt im Staatsoberhaupte
vereinigt ist, nicht aufgehoben oder irgendwie geändert. Die Bedeutung der Vorschrift des
Art. 45 Abs. 1 ist daher nur die, daß der König bei Ausübung der „vollziehenden Gewalt“
nicht an die Mitwirkung des Landtags gebunden ist.
Begriff und Umfang der „vollziehenden Gewalt“ lassen sich nicht positiv, sondern nur
negativ in der Weise bestimmen, daß Alles, was nicht unter Mitwirkung des Landtags geordnet
werden muß oder als sog. „richterliche Gewalt“ der Zuständigkeit der Gerichte überwiesen ist,
zur vollziehenden Gewalt zu rechnen ist. Die vollziehende Gewalt umfaßt hiernach nicht
bloß den Vollzug der Gesetze, sondern auch die gesammte Regierung und Verwaltung, so-
weit sie freie, durch Zweckmäßigkeitsrücksichten bestimmte Thätigkeit innerhalb der Schranken
der Gesetze und des Rechts ist. Neben diesen in den Gesetzen gelegenen materiellen Schranken
besteht für den König bei Ausübung der vollziehenden Gewalt insoferne eine formelle Schranke,
als seine Regierungsakte nach Art. 44 V. U. zu ihrer Gültigkeit der ministeriellen Gegenzeich-
nung bedürfen. Die vollziehende Gewalt tritt natürlich auf allen Verwaltungsgebieten zu
Tage und zwar auch auf dem Gebiete der Rechtspflege, wo alles was als Gegenstand der sogen.
Justizverwaltung bezeichnet wird, nicht zur richterlichen Gewalt, sondern zur vollziehenden
Gewalt gehört.
II. Justiz und Verwaltungt). Wie der Unterschied zwischen gesetzgebender Gewalt
und vollziehender Gewalt nur negativ bestimmt werden konnte, so ist auch die Scheidung zwischen
Justiz und Verwaltung keine grundsätzliche, dem materiellen Begriffe von Rechtspflege und
Verwaltung entsprechende, sondern eine historisch gewordene. In Folge dessen wird die sog.
freiwillige Gerichtsbarkeit, die ihrem Begriffe nach Verwaltungsthätigkeit ist, zur Justiz ge-
rechnet, während die Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Verwaltung gehört, obwohl sie begrifflich
Rechtssprechung ist.
Die Scheidung der Verwaltungssachen von den Justizsachen bemißt sich theils nach
Reichsrecht, theils nach Landesrecht. Zu den Justizsachen werden gerechnet: 1. die Strafsachen,
2. die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, 3. die Angelegenheiten der sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit.
Zu den Strafsachen gehören alle Angelegenheiten, bei denen es sich um die Verhäng-
ung einer durch ein Gesetz oder durch eine auf Grund eines Gesetzes erlassene Verordnung ange-
drohte kriminelle oder polizeiliche Strafe handelt. In Bezug auf Strafsachen ist nun die Abgrenz-
ung der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden gegenüber den Strafrichtern dem Prinzipe ent-
sprechend geordnet. Von der Militärgerichtsbarkeit abgesehen gilt reichsgesetzlich der Grundsatz,
daß die Gerichte, und zwar die ordentlichen Gerichte, neben welchen nur in sehr geringem Umfange
besondere Gerichte zugelassen sind (G.V.G. § 13), mit Ausschluß der Verwaltungsbehörden
über Strafsachen zu entscheiden haben. Strafsachen können nur dann vor die Verwaltungsbe-
hörden gehören, wenn Reichsgesetze unmittelbar Strafsachen Verwaltungsbehörden überwiesen
oder der Landesgesetzgebung die ausdrückliche Ermächtigung zu einer solchen Ueberweisung ge-
geben haben. Das erstere ist z. B. der Fall bei den Post= und Portodefraudationen gemäß
88 34 ff. des G. v. 28/10. 1871, betreff. das Postwesen des Deutschen Reichs. Die Ueber-
1) Rönne a. a. O., I, S. 485 ff. — Schulze a. a. O. II, S. 64 ff. — Bornhak a. a. O.,
III, S. 62 ff. — Bornhak, Art. Rechtsweg in Stengel's Wörterbuch des Verw.-N., II, S. 331 ff.
— Sydow, die Zulässigkeit des Rechtswegs und die Kompetenzkonflikte in Preußen (1860). —
Primcker, die Kompetenzkonflikte in Preußen (1861). — Oppenhof, die preuß. Gesetze über die
Ressortverhältnisse (1863).
Handbuch des Oeffentlichen Rechts II, Zweite Auflage: Preußen. 12