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während früher im Anschluß an den schriftlichen und geheimen gerichtlichen Prozeß von den
Verwaltungsbehörden lediglich schriftlich verhandelt wurde, jetzt auch das Verfahren wenigstens
bis zu einem gewissen Grade auf den Grundsätzen der Mündlichkeit und Oeffentlichkeit ebenso
beruht, wie dies beim gerichtlichen Verfahren der Fall ist.
Am engsten schließt sich dem gerichtlichen Prozesse das von den Verwaltungsgerichten zu
beobachtende Verwaltungsstreitverfahren an. Neben den Verwaltungsrechtsstreitigkeiten und
den denselben in Bezug auf das Verfahren gleich gestellten Sachen giebt es aber noch eine große
Anzahl von Angelegenheiten, welche mit Rücksicht auf ihre Wichtigkeit und Bedeutung, haupt-
sächlich aber um deswillen, weil es sich bei denselben um eine, wenn auch mitunter nur vorläufige
Entscheidung widerstreitender Interessen und Rechte handelt, verlangen, daß die Beschlußfassung
auf Grund eines Verfahrens erfolge, welches den Betheiligten die Möglichkeit gewährt, ihre
Interessen oder Rechte geltend zu machen. Ein solches ebenfalls, wenn auch mit gewissen Ab-
schwächungen dem gerichtlichen Prozesse nachgebildetes Verfahren, welches eine gewisse Gewähr
dafür bietet, daß die Beschlußfassung nur nach vorausgegangener causae cognitio erfolgt, ist
das sog. Beschlußverfahren (§ 56). Es ist aber auch für bestimmte einzelne Sachen ein eigenes
förmliches Verfahren vorgeschrieben, z. B. Gewerbeangelegenheiten, Wassersachen, Landes-
kulturangelegenheiten, Expropriationssachen u. dgl. Namentlich tritt bei derartigen Angelegen-
heiten häufig ein Aufgebotsverfahren ein, welches darin besteht, daß die Interessenten
öffentlich aufgefordert werden, ihre Interessen und Rechte binnen bestimmter Frist geltend zu
machen, widrigenfalls sie später mit Einwendungen nicht mehr gehört werden (vgl. den Aufsatz:
Das Aufgebotsverfahren in Verwaltungssachen in der Zeitschrift „Selbstverwaltung" 1888
Nr. 42).
§ 53. Die Polizeistrafverordnungen 1). I. In der V. v. 26/12. 1808 wegen ver-
besserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei= und Finanzbehörden war den Regierungen
die Befugniß beigelegt, „in Polizei= und Landesangelegenheiten“ mit ministerieller Genehmi-
gung Publikanda zu erlassen. Demgemäß wurden die Landessjustizkollegien angewiesen, auf
diese Publikanda insoferne Rücksicht zu nehmen, als in denselben keine härtere Strafe, als
die in den Gesetzen festgesetzte angedroht ist.
Die Regierungs-Instruktion v. 26/10. 1817 bestimmte sodann in § 11 Abs. 2: „All-
gemeine Verbote und Strafbestimmungen dürfen sämmtliche Regierungen nicht ohne höhere
Genehmigung erlassen, es sei denn, daß das Verbot an sich schon durch ein Gesetz feststeht, in
letzterem aber die Strafe nicht ausdrücklich bestimmt ist. In diesem Falle können sie inner-
halb der Grenzen des A.L.R. Th. II Tit. 20 § 33, 35 und 240 (Gefängniß bis zu 6Wochen
und Geldbuße bis zu 50 Thlr.) die Strafe bestimmen und bekannt machen.“ „Auch steht
ihnen ohne Anfrage frei, schon bestehende Vorschriften von neuem in Erinnerung zu bringen“
(die sog. Republikation).
Eine ausdrückliche Regelung des Polizeistrafverordnungsrechts der Ortspolizei-
behörden enthielt weder die Reg.-Instr. v. 23/10. 1817 noch sonst ein Gesetz. Man half
sich aber in der Praxis damit, daß man die für die Regierungen geltenden Vorschriften analog
auf die Ortspolizeibehörden anwendete und daher letzteren unter Genehmigung der Regierung
die Befugniß zum Erlasse von Polizeistrafverordnungen beilegte. Nur im Gebiete des rheini-
schen Rechts war das Strafverordnungsrecht der Ortspolizeibehörden durch die in Gültigkeit
gebliebenen französischen Gesetze, insbesondere den code pénal (Art. 471 N. 15) geregelt,
1) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., I, S. 381 ff. — Schulze, das
preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., S. 36, 315. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, 1II, S. 134. — Stengel,
die Organisation u. s. w. S. 442 ff. — Rosin, das Polizeiverordnungsrecht 1882. — Derselbe,
Art. Polizeiverordnung in Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts, II, S. 283. — Forstemann,
Prinzipien des preuß. Polizeirechts (1869). — Gerland, das Recht der Polizeiverordnungen in der
preuß. Monarchie (1885).