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gestützt werden kann, daß das Zwangsmittel nach Art und Höhe nicht gerechtfertigt oder nach
Lage der Sache zur Erreichung des angeordneten Zwecks überhaupt nicht erforderlich sei.
V. Die 88 127 ff. des L. V. G. regeln lediglich die Rechtsmittel gegen die polizeilichen
Verfügungen der Orts- und Kreispolizeibehörden und des Regierungspräsidenten, dagegen nicht
die polizeilichen Verfügungen des Oberpräsidenten (wenigstens nicht soweit derselbe in erster
Instanz entscheidet) und des Ministers. In dieser Beziehung bleibt es daher bei dem früheren
Rechte und wird deshalb gegen die polizeilichen Verfügungen des Oberpräsidenten lediglich
die Beschwerde an den vorgesetzten Minister zulässig sein. Außerdem können in diesen Fällen
die Bestimmungen des G. v. 11/5. 1842 zur Anwendung kommen.
VI. Besondere Vorschriften enthält das Gesetz vom 20/8. 1883, betr. die Befugnisse
der Strombauverwaltung gegenüber den Uferbesitzern an öffentlichen Flüssen (G. S. S. 333).
Nach § 13 Abs. 1 des G. sind zur Ausübung der der Strombauverwaltung beigelegten Be-
fugnisse deren Lokalbaubeamten zuständig. Gegen die von ihnen getroffenen Anordnungen
findet unbeschadet der im § 4 für einzelne Fälle vorgesehenen Entscheidung des Landraths,
bezw. der Ortspolizeibehörde, die Beschwerde in den Bezirken der Rhein-, Elb= und Oder-
strombaudirektion an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, bezw. von Sachsen und Schlesien,
im Stadtbezirke Berlin an den Oberpräsidenten, im Uebrigen an die Regierungspräsidenten,
bezw. Landdrosten, gegen den auf die Beschwerde erlassenen Bescheid unter den Voraussetzungen
des § 127 Abs. 3 u. 4 L.V.G. innerhalb zweier Wochen die Klage beim O. V.G. oder die
Beschwerde an den zuständigen Minister statt.
§ 55. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit 1). I. Der Anfang mit der Schaffung einer be-
sonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde in Preußen gemacht in der Kr. O. v. 13/12.1872.
Vorher wurden die Streitigkeiten über Ansprüche und Verbindlichkeiten aus dem öffentlichen
Rechte einfach als „Verwaltungssachen“ von den Verwaltungsbehörden entschieden, soweit nicht
ausnahmsweise, namentlich durch die GG. v. 11/5. 1842 und 24/5. 1861, die Zuständigkeit
der Civilgerichte begründet war.
In § 135 Kr.O. v. 13/12. 1872 war in zwölf Abtheilungen eine größere Anzahl von
Angelegenheiten aufgeführt, auf welche sich die Zuständigkeit des Kreisausschusses erstrecken
sollte und welche sich in drei Gruppen theilen ließen: a) sogen. reine Verwaltungssachen oder
„Beschlußsachen“; b) Angelegenheiten, in welchen es sich um die schiedsrichterliche oder interi-
mistische Entscheidung in Rechtsstreitigkeiten meist privatrechtlicher Natur handelt (gewöhnlich
vorbehaltlich des Rechtswegs); c) Streitigkeiten über öffentliche Rechte und Pflichten.
Die Grenze zwischen den verschiedenen Kategorieen von Sachen war in dem Gesetze in
der Weise gezogen, daß gegen die Entscheidung des Kreisausschusses in „Beschlußsachen die
Berufung an die Bezirksregierung, in „streitigen Verwaltungssachen“ aber, wozu auch die sub b
aufgeführten Angelegenheiten gerechnet wurden, die Berufung an das neu geschaffene „Ver-
waltungsgericht“ (für jeden Regierungsbezirk wurde ein solches Gericht bestellt) für zulässig
erklärt wurde (§ 156 a. a. O.).
Außerdem wurde für die „streitigen Verwaltungssachen“ in den §§ 140—154 ein beson-
deres auf den Grundsätzen der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit beruhendes Verfahren vorge-
schrieben.
Nachdem in dieser Weise durch die Kreisordnung v. 13/12.1872 der Anfang mit der
Schaffung einer besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit gemacht war, wurde auf der gegebenen
1) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., II, S. 330 ff. — Schulze,
Preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. II, S. 626 ff. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, II, S. 397 ff. —
Stengel, die Organisation u. s. w. S. 488 ff. — Derselbe, die preuß. Verw.-Reform in Schmollers
Jahrbuch, VII (1883), S. 173. — Bismarck, das Ges. v. 3/7. 1875. — Derselbe, die Novelle
zum G. v. 3°7. 1875. — Derselbe, Leitfaden durch das Zust.G. v. 1/8. 1883 (1884). — Baasel
und Harmisch, die Zuständigkeit drr Verwaltungs= und Verwaltungsgerichtsbehörden (1890).