Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

9 55. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit. 207 
scheint, gleichgültig, in welcher Weise derselbe früher vorbehalten war bezw. für zulässig er- 
achtet wurde. In Betracht kommen hier namentlich Streitigkeiten über Kommunalabgaben, 
Schullasten u. s. w., in Bezug auf welche früher nach Maßgabe der §§ 9, 10, 15 G. v. 24/5. 
1861 bezw. 8§8 78, 79 T. II Tit. 14 A.L. R. und §§ 36, 41 V. v. 26/12 1808 der Rechts- 
weg zulässig war (vgl. Stengel, Organisation S. 364 ff.). Selbstverständlicher Weise gilt 
dieser Grundsatz nur hinsichtlich der öffentlich-rechtlichen, bisher dem Rechtswege überwiesenen 
Angelegenheiten, während bezüglich der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, welche aus derartigen 
Angelegenheiten entstehen können, die Zuständigkeit der Civilgerichte bestehen bleibt (8 160 
L.V.G.). 
In § 7 L.V. G. ist nämlich ausdrücklich bestimmt, daß die Entscheidungen der Verwalt- 
ungsgerichte unbeschadet aller privatrechtlichen Verhältnisse ergehen. Durch diese 
Bestimmung ist der ordentliche Rechtsweg für privatrechtliche Verhältnisse, welche bei einem 
Streite über öffentlich-rechtliche Verhältnisse berührt werden, vorbehalten; so entscheidet zwar das 
Verwaltungsgericht über die Kommunalsteuerpflicht einer Person bezw. eines Grundstücks, aber die 
Entscheidung eines privatrechtlichen Anspruchs, der aus einem Vertrage zwischen Käufer und 
Verkäufer über Zahlung der Steuer entsteht, verbleibt dem ordentlichen Gerichte. Andererseits 
ist durch diese Vorschrift nicht ausgeschlossen, daß die Verwaltungsgerichte über privatrechtliche 
Zwischenfragen, von welchen ihre Entscheidung in der öffentlich-rechtlichen Streitfrage abhängt 
(Incidentpunkte), selbstständig entscheiden, wie auch die Civilgerichte öffentlich-rechtliche In- 
cidentpunkte zu entscheiden befugt sind. 
III. Nach L. V.G. 87 wird die Verwaltungsgerichtsbarkeit durch die Kreis-(Stadt)-Aus- 
schüsse und die Bezirksausschüsse als Verwaltungsgerichte, sowie durch das in Berlin für den ganzen 
Umfangder Monarchiebestehende Oberverwaltungsgericht ausgeübt. Es besteht sonach nureine aus- 
schließlich zum Zweckeder Ausübung der Verwaltungsrechtsprechung bestellte Behörde, das Oberver- 
waltungsgericht, im Uebrigen fungiren der Kreisausschuß und der Bezirksausschuß, welche auch 
Verwaltungsbehörden sind, als Verwaltungsgerichte. Es tritt aber beim Bezirksausschuß der Cha- 
rakter des Verwaltungsgerichts mehr hervor, als beim Kreisausschuß, da den Mitgliedern des 
Bezirksausschusses in Bezug auf Disciplin, Unabsetzbarkeit und Unabhängigkeit eine richter- 
liche Stellung eingeräumt ist (L. V.G. §§ 28, 30—32), während dies beim Kreisausschusse 
nicht der Fall ist. Jedoch nimmt selbstverständlicher Weise auch der Kreisausschuß insoferne 
eine richterliche Stellung ein, als er bei seinen Entscheidungen in streitigen Sachen nicht an 
die Weisung vorgesetzter Behörden gebunden ist. Dagegen zeigt sich bei beiden Behörden der 
Charakter der Verwaltungsbehörde darin, daß nach L.V.G. § 48 die dienstliche Aufsicht über 
die Geschäftsführung des Kreis-(Stadt-) Ausschusses vom Regierungspräsidenten (in Berlin vom 
Oberpräsidenten) die Aufsicht über die Geschäftsführung des Bezirksausschusses vom Oberpräsi- 
denten geführt wird, gleichgiltig, ob die betr. Behörde als Gericht oder Verwaltungsbehörde 
fungirt. Hinsichtlich der Bildung des Bezirksausschusses und Kreis-(Stadt-) Ausschuß ist auf 
§§ 35 u. 36 zu verweisen; dagegen ist das Oberverwaltungsgericht hier zu besprechen, 
bezüglich dessen Zusammensetzung noch die §§ 17 ff. des V.G.G. v. 3/7. 1875 und 2/8. 1880 
gelten. Das Oberverwaltungsgericht besteht aus einem Präsidenten, den Senatspräsidenten und 
der erforderlichen Anzahl von Räthen. Die eine Hälfte der Mitglieder des Gerichtshofes muß zum 
Richterstande, die andere Hälfte zur Bekleidung von höheren Verwaltungsämtern befähigt sein. 
Ernannt zum Mitgliede des Oberverwaltungsgerichts kann nur werden, wer das 30. Lebens- 
jahr vollendet hat (V.G.G. § 17). Die Ernennung erfolgt auf Vorschlag des Staatsministe- 
riums vom Könige auf Lebenszeit (V. G.G. § 18). Als Nebenamt darf die Stelle eines Mit- 
glieds des Oberverwaltungsgerichts nicht verliehen werden (V. G.G. § 88). Ein besoldetes Neben- 
amt können Mitglieder des Oberverwaltungsgerichts nur in den Fällen bekleiden, in denen das 
Gesetz die Uebertragung eines solchen Amtes an etatsmäßig angestellte Richter gestattet (V.G.G. 
§ 19, G. v. 30/4. 1856, Kab.O. v. 13/7. 1839 und G. v. 10/6. 1874). Ordentliche Pro-
	        
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