212 Drittes Buch: Die allgemeinen Funktionen der Staatsgewalt. II. Kapitel. 8 55.
einen Kommissar zur Vertretung bestellen. Bezeichnet das Gesetz die Behörde nicht, welche als
Kläger oder Beklagter aufzutreten hat, so bestellt der Vorsitzende des Kreis-(Stadt-)Ausschusses
bezw. Bezirksausschusses oder der Ressortminister behufs der erforderlichen Wahrnehmung des
öffentlichen Interesses vor den betr. Instanzen einen Kommissar, welcher dann als Partei auf-
tritt (L.V.G. 8 74).
Uebrigens kann, da das preußische Recht die Einrichtung der Staatsanwaltschaft nicht
kennt und bei den sog. Parteistreitigkeiten mittelbar stets das öffentliche Interesse betheiligt er-
scheint, während bei den sogen. Rechtsbeschwerden neben der beklagten Behörde auch die Inter-
essen eines anderen Verwaltungszweiges berührt sein können, gemäß § 74 Abs. 2 L.V.G. der
Regierungspräsident bezw. der Ressortminister von Amts wegen in geeigneten Fällen einen
besonderen Kommissar zur Wahrnehmung des öffentlichen Interesses für die mündliche Ver-
handlung bestellen, welche neben der Partei auftritt und vor Erlaß des Endurtheils mit seinen
Anträgen und Ausführungen zu hören, zur Einlegung von Rechtsmitteln jedoch nicht befugt ist.
Hinsichtlich der Prozeßfähigkeit der Parteien und ihrer Vertretung durch dritte Personen
gelten die Grundsätze des Civilverfahrens. Nach § 73 L.V. G. sind die Parteien in der Wahl
der von ihnen zu bestellenden Bevollmächtigten nicht beschränkt, jedoch kann das Gericht Ver-
treter, welche, ohne Rechtsanwälte zu sein, die Vertretung vor Gericht geschäftsmäßig betreiben,
zurückweisen. Gemeindevorsteher, welche als solche legitimirt sind, bedürfen zur Vertretung
ihrer Gemeinden einer besonderen Vollmacht nicht.
Sowohl auf Seite des Klägers wie des B eklagten kann eine Streitgenossenschaft vor-
kommen. Hinsichtlich derselben gelten durchweg die Regeln des Civilverfahrens, wie auch be-
züglich eines Wechsels der Parteien im Prozesse.
Eine besondere Vorschrift enthält § 70 L.V. G. dahin gehend, daß das Gericht auf An-
trag oder von Amts wegen die Beiladung dritter, deren Interesse durch die zu erlassende Ent-
scheidung berührt wird, verfügen kann. Die Entscheidung ist in diesem Falle auch den Beige-
ladenen gegenüber gültig.
Ueber die Tragweite dieser Vorschrift geben weder die Motive des Gesetzentwurfs, noch
die Verhandlungen der gesetzgebenden Körperschaften Aufschluß; doch wird dieselbe aus allge-
meinen Gründen in Uebereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgericht in
folgender Weise festzustellen sein: 1. Die Beiladung erfolgt stets durch das erkennende Gericht,
sei es auf Antrag, sei es von Amts wegen und zwar lediglich nach seinem Ermessen („kann"“).
E. d. O. V. G. III S. 109, IV S. 174, V S. 65. Parey, Rechtsgrundsätze S. 117. Eine
Betheiligung am Rechtsstreite durch Nebenintervention (C.Pr.O. § 63) ist unzulässig. E. d.
O. .G. XI S. 141, Parey a. a. O. S. 70. 2. Die Beiladung setzt voraus: a) in materi-
eller Beziehung, daß durch die zu erlassende Entscheidung rechtlich geschützte Interessen der
Beizuladenden berührt werden, also subjektive Rechte derselben und zwar solche, welche im
Verwaltungsstreitverfahren und vor den Verwaltungsgerichten Schutz finden (E. d. O. V.G.
VC S. 463, X S. 83, Pareya. a. O. S. 205 und 443); b) in formeller Beziehung, daß
zwei Parteien vorhanden sind, zwischen denen die Entscheidung ergeht und deren Rechte hin-
sichtlich des Verfahrens ausschließlich durch die eigene Stellung zum Gegenstande des Streites
bestimmt werden, keinesfalls aber durch den Zutritt eines Dritten eine Einschränkung erfahren
können. Die Beiladung kann daher nicht zu dem Zwecke erfolgen, damit eine vom Kläger nicht
beantragte Verurtheilung des Beigeladenen statt einer solchen des ursprünglichen Beklagten
erfolge; sie bezweckt nicht, legitimirte Parteien erst zu schaffen, sondern der zwischen den ur-
sprünglich legitimirten Parteien zu erlassenden Entscheidung auch gegenüber gleichfalls berechtigten
Dritten Wirksamkeit zu verschaffen, auf diese Weise eine Vervielfältigung der Prozesse zu ver-
hüten, wie auch eine erschöpfende Erörterung und Entscheidung herbeizuführen. Um diesen
letzteren Zweck zu erreichen, muß die Beiladung zu einer Zeit erfolgen, in welcher es dem Bei-