8 61. Das Staatsvermögen. 245
Beobachtung derselben im einzelnen Falle dispensiren kann. Zweifelhaft ist aber, ob auf Grund
dieser Vorschriften die Regierung bei Domänenveräußerungen im einzelnen Falle an die Zu-
stimmung der Volksvertretung gebunden ist.
Eine ausdrückliche Bestimmung über die Veräußerung der Domänen, bezw. des Staats-
gutes überhaupt, findet sich in der Verfassungsurkunde nicht. Man hat nun unter Bezug-
nahme auf Art. 103 V. U., welcher die Zustimmung der Volksvertretung zur Aufnahme von
Staatsanleihen und zur Uebernahme von Garantien zu Lasten des Staates fordert, behauptet,
eine Veräußerung von Staatsgut bedeute diesen Maßregeln gegenüber ein Mehr, weil sie die
Aufnahme von Anleihen und die Uebernahme von Garantien überflüssig mache, die Zustimmung
der Volksvertretung sei daher als selbstverständlich zu betrachten. Diese Auffassung ist jedoch
durchaus irrthümlich:). Davon, daß sich die Zustimmung der Volksvertretung als selbstver-
ständlich aus den übrigen Bestimmungen der Verfassungsurkunde ergiebt, kann um so weniger
die Rede sein, als es sich dabei um die Betheiligung der Volksvertretung an einem Verwaltungs-
akte handelt, eine solche Betheiligung der Volksvertretung an der „vollziehenden Gewalt“ sich
aber keineswegs von selbst versteht, auch genau bestimmt sein müßte, bei welchen Veräußerungen
von Staatsgut die Zustimmung der Volksvertretung zu erholen ist, da doch nicht angenommen
werden kann, daß zu jeder im gewöhnlichen Laufe der Verwaltung vorkommenden Veräußerung
die Zustimmung nothwendig sein soll:). Man wird daher annehmen müssen, daß die Regierung
zur Veräußerung von Domänen an und für sich die Zustimmung des Landtags nicht einzuholen
hat. Für die Ansicht, daß die Regierung bei Veräußerung wie bei Erwerbung von Staats-
gut — das Vorhandensein der erforderlichen Mittel zur Erwerbung vorausgesetzt — an die
Zustimmung der Volksvertretung nicht gebunden ist, spricht auch der Umstand, daß in ver-
schiedenen über den Erwerb von Eisenbahnen ergangenen Gesetzen ausdrücklich bestimmt wurde,
daß zur Rechtsgültigkeit der Veräußerung dieser Eisenbahnen die Zustimmung des Landtags
erforderlich sei 5).
Selbstverständlich müssen die Einnahmen aus der Veräußerung von Domänen und
Staatsgut auf den Staatshaushaltsetat gebracht werden und kann daher einseitig von der Re-
gierung über diese Einnahmen nicht verfügt werden. In dieser Mitwirkung des Landtags
über den Erlös der Veräußerung liegt aber selbstverständlich keine Genehmigung der Ver-
äußerung selbst.
Von den Domäneneinkünften ist nach der V. v. 17/1.1820 (G.S. S. 9) für den Unterhalt
der königlichen Familie des königlichen und sämmtlicher prinzlicher Hofstaaten eine jährliche
Rente von 25000000 Thalern zum Kronfideikommiß abzuführen, so daß als Domänenein-
nahme nur der diese Summe übersteigende Betrag im Haushaltsetat erscheint.
Die V. v. 17/1.1820 hat ferner bestimmt, daß für die sämmtlichen damals vorhandenen
und in dem gleichzeitig veröffentlichten Etat aufgeführten Staatsschulden und deren Sicher-
heit mit dem gesammten Vermögen und Eigenthum des Staates, insbesondere mit den sämmt-
lichen Domänen, Forsten und säkularisirten Gütern im ganzen Umfange der Monarchie aus-
schließlich derer, welche zur Aufbringung des Kronfideikommißfonds erforderlich sind, Garantie
geleistet werde.
1) Vgl. Arndt, das preußische und das Reichsbudget, Archiv f. öffentl. Recht, III, S. 549 ff.
— Laband, Preuß. Budgetrecht, S. 28 ff.
2) Deßhalb bestimmen auch diejenigen Verfassungen, welche bei Veräußerung von Staatsgut die
Mitwirkung der Volksvertretung vorschreiben, möglichst genau, zu welchen Verfügungen über das Staats-
gut diese Mitwirkung nothwendig ist.
3) Zuerst wurde in das G. v. 9/8. 1867 (G. S. S. 393 ff.) § 6 die Bestimmung aufgenommen,
daß jede Verfügung über die in § 1 des Gesetzes bezeichneten acht Staatsbahnen resp. Eisenbahntheile
durch Veräußerung zu ihrer Rechtsgültigkeit der Zustimmung beider Häuser des Landtags bedürfe.
Gleiche Vorschriften enthalten die späteren Gesetze ähnlichen Inhalts, z. B. § 9 G. v. 28/3. 1882 (G.S.
S. 21 ff.) und § 8 G. 13/5. 1882 (G. S. S. 269), § 4 G. v. 3/7. 1893 (G.S. S. 105).