Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

84. Der Staat Friedrichs II. und der Zusammenbruch des preußischen Staatswesens. 11 
Höchst bedeutsam dagegen sind die Reformen Friedrichs II., welcher sofort bei seinem 
Regierungsantritt (3/6. 1740) die Tortur abschaffte, auf dem Gebiete der Rechtspflege; 
hier ist eine umfassende Reorganisation eingetreten. Nachdem Kaiser Franz I. am 31. Mai 
1746 allen zum deutschen Reiche gehörigen Ländern des Königs von Preußen ein allgemeines 
und unbeschränktes privilegium de non appellando ertheilt hatte, wie es bisher nur die 
brandenburgischen Kurlande besessen hatten, wurde die Justizreform in Angriff genommen, 
mit deren Durchführung zunächst der Großkanzler Samuel von Coccejil) betraut wurde, 
unter dem auch 1747/48 eine Prozeßordnung (codex Fridericianus) und 1749/61 ein neues 
Gesetzbuch (corpus juris Fridericiani) erschienen. Diese Gesetze waren aber nicht tief ein- 
schneidend und sind theilweise auch gar nicht zur praktischen Geltung gelangt. Erst 1780 
wurde die durch den siebenjährigen Krieg und die Organisation der neuen Erwerbungen unter- 
brochene Justizreform unter der Leitung des Großkanzlers von Carmer wieder aufgenommen. 
Zuerst wurde — 1781 — unter dem Titel „Corpus juris Fridericianum, Erstes Buch, Von 
der Prozeßordnung“ eine auf dem Inquisitionsprinzip beruhende, den gemeinen Civilprozeß 
beseitigende Civilprozeßordnung veröffentlicht, welche mit Zusätzen und Verbesserungen aufs 
Neue im J. 1795 als „Allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten“ verkündigt 
wurde. 
Was das materielle Recht anlangt, so wurde in der Zeit von 1784— 1798 (Entwurf 
Suareze) unter dem Titel „Allgemeine Gesetzgebung für die preuß. Staaten“, ein Gesetzbuch 
abgefaßt, das 1791 veröffentlicht wurde und am 1. Juni 1792 in Kraft treten sollte. Aus 
politischen Erwägungen wurde jedoch der Entwurf einer neuerlichen Revision unterzogen und 
am 1/7.1794, also erst nach dem Tode Friedrichs des Großen, unter dem Titel „Allgemeines 
Landrecht für die preuß. Staaten“ als Gesetz eingeführt. 
Das allgemeine Landrecht beschränkt sich nicht auf die Regelung der privatrechtlichen 
Verhältnisse, sondern umfaßt auch das gesammte öffentliche Recht, das Verfassungs= und Ver- 
waltungsrecht, das Polizei= und Strafrecht und das Kirchenrecht. Das gemeine Recht hat 
es in allen Rechtstheilen als subsidiäre Rechtsquelle beseitigt, seine eigenen Vorschriften hat 
es aber auf manchen Rechtsgebieten, z. B. im Gemeinderecht nur als subsidiäre nach dem 
lokalen und provinziellen Rechte zur Anwendung kommende aufgestellt. 
Das preuß. Landrecht war ein zur Zeit seiner Entstehung tüchtiges Gesetzbuch, wenn 
auch die Kafuistik, die sich häufig darin breit macht, verfehlt war. Seinen besonderen Charaker 
erhält es aber dadurch, daß es, wie der damalige preußische Staat selbst auf keiner einheit- 
lichen Grundlage beruhte. In dem preußischen Staate war eine eigenthümliche Mischung des 
modernen Staatsabsolutismus mit Resten der feudalen Ordnungen des Mittelalters gegeben. 
In den allgemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen des Landrechts tritt die ganze naturrechtliche 
Auffassung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu Tage, freilich in der Weise, daß die 
Rousseau'sche Vertragstheorie ohne Bedenken mit den Grundsätzen der absoluten Monarchie 
verbunden wird, wo alle Majestätsrechte unbeschränkt in der Hand des Staatsoberhauptes liegen. 
Der Grundzug des Gesetzbuchs ist der Staatsabsolutismus, der selbstständige korporative Ele- 
mente im Staate nicht anerkennt, die Gemeinden wie die Kirchen= und Religionsgesellschaften als 
Staatsanstalten behandelt und daszganze private und öffentliche Leben bevormunden wollte. In 
Folge dessen blieb der Staat ein Mechanismus, der allerdings unter Friedrich dem Großen 
Bedeutendes leistete, sich aber zu einem Organismus lebendig ineinander greifender Glieder 
nicht entwickeln konnte und daher des dauernden inneren Haltes entbehrte. 
  
1) A. Trendelenburg, Friedrich der- Große und sein Großkanzler Samuel von Cocceji. 
Berlin 1863 (Sep.-Abdr. aus den Abhandl. der Akad. der Wissenschaften). 
2) A. Stölzel, Karl Gottlieb Suarez, ein Zeitbild aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. 
Berlin 1885.
	        
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