254 Viertes Buch: Die Finanzverwaltung. II. Kapitel. 8 65.
2. Ferner hat das Reich von dem ihm durch Art. 4 Z. 2 R.V. eingeräumten allgemeinen
Besteuerungsrechte durch verschiedene Gesetze, durch welche es sog. Stempelabgaben eingeführt
hat, Gebrauch gemacht (R.G. v. 10/6. 1869 betr. die Wechselstempelsteuer, R.G. v. 3/7. 1878
betr. den Spielkartenstempel, R.G. v. 1/6. 1881 betr. die Reichsstempelabgaben u. s. w.) und
hierdurch die betr. Gegenstände und Verkehrsakte der Landesbesteuerung entzogen.
3. Auch insoweit den Einzelstaaten das Besteuerungsrecht verblieben ist, sind ihnen
Schranken auferlegt und zwar a) durch das R.G. v. 13/5. 1870 wegen Beseitigung der Doppel-
besteuerung (R.G. S. 119)1), wornach ein Deutscher zu den direkten Staatssteuern nur in
demjenigen Bundesstaate herangezogen werden darf, in welchem er seinen Wohnsitz und in Er-
mangelung eines Wohnsitzes, seinen Aufenthalt hat. Bei einem mehrfachen Wohnsitze entscheidet
der des Heimathstaates, bei Reichs= und Staatsbeamten der dienstliche Wohnsitz. Ferner können
nach § 3 d. Ges. Gewerbebetrieb und Grundbesitz und das aus diesen Quellen fließende Ein-
kommen nur von dem Einzelstaate, in welchem der Grundbesitz liegt, bezw. das Gewerbe be-
trieben wird, Gehalt, Pension, Wartegeld von deutschen Militärpersonen und Civilbeamten
und Reliktenansprüche ihrer Hinterbliebenen nur von dem Einzelstaate, welcher die Zahlung
leistet, besteuert werden.
b) Weitere Beschränkungen enthalten Art. 33 Abs. 2 R.V., wornach alle Gegenstände,
welche im freien Verkehre eines Einzelstaates befindlich sind, in jeden andern Bundesstaat ein-
geführt werden können und in letzterem einer Abgabe nur insoweit unterworfen werden dürfen,
als daselbst gleichartige inländische Erzeugnisse einer inneren Steuer unterliegen, — und die
einschlägigen Bestimmungen des Z.V.V. v. 8/7. 1867 verbunden mit dem R.G. v. 27/5.1885
(R.G.Bl. S. 109)2. s
§ 65. Die geschichtliche Entwickelung der preuß. Gesetzgebung über die direkten Stenern 3).
I. Bis zu den Reformgesetzen des Jahres 1893. A. Die Grund= und Gebäudesteuer.
Wie in § 4 hervorgehoben, beruhte die Steuerverfassung Preußens im Anfange dieses Jahrhunderts
im Wesentlichen auf einer Belastung des Grund und Bodens und stand deshalb auch mit der noch
im Allg. Landrecht aufrecht erhaltenen ständischen Gliederung des Volkes in innigster Wechselbeziehung.
Mit der grundsätzlichen Aufhebung der altständischen Gliederung und der Beseitigung der verschiedenen
Besteuerungsart für die einzelnen Stände, war daher auch das frühere Grundsteuersystem unhaltbar
geworden. Demgemäsß stellte das Edikt v. 27/10. 1810 (G. S. S. 26) eine Reform der Grundsteuer in
Aussicht und zwar dahin, daß alle Grundstücke nach ihrem Werthe einer gleichmäßigen Besteuerung
unterworfen werden sollten. Das G. v. 30/5. 1820 über die Einrichtung des Abgabenwesens (G. S.
S. 134) erkannte die Nothwendigkeit einer Grundsteuerreform von neuem an, wollte aber, daß dieselbe
für die einzelnen Provinzen nach vorheriger Berathung mit den Ständen besonders vorgenommen
werde und stellte für diese provinzielle Grundsteuergesetzgebung lediglich die Grundsätze fest. Es kam
jedoch nur das Grundsteuer-Gesetz für die westlichen Provinzen v. 21/1. 1831 (G.S. S. 30) zustande
und außerdem erging die V. v. 14/10. 1844 über die anderweite Regulirung der Grundsteuer in der
Provinz Posen (G.S. S. 601).
Erst nach Erlaß der V. U. v. 31/1. 1850 wurde die Reform ernstlich in Angriff genommen
Zunächst wurde das G. v. 24/2. 1850 betr. die Aufhebung der Grundsteuerbefreiungen (G. S. S. 62)
erlassen, welches die Steuerpflichtigkeit aller einen Reinertrag gewährenden Grundstücke als Regel auf-
stellte. Hierauf ergingen die drei G. v. 24/5. 1861 (G. S. S. 253—340) a) die anderweite Regelung
der Grundsteuer, b) über die Einführung einer allgemeinen Gebäudesteuer, c) über Entschädigung für
die Aufhebung der Grundsteuerbefreiungen und Bevorzugungen, welche drei Gesetze am 1. Januar 1865
mit Ausnahme der Hohenzollern'schen Lande und des Jadegebietes in Kraft traten.
In den neuen Provinzen wurde die Gebäudesteuer vom 1/7. 1871 an eingeführt, bezüglich
der Grundsteuer aber die anderweite Veranlagung der Liegenschaften nach Maßgabe des G. v. 21/5. 1861
1) Laband, Art. Doppelbesteuerung in Stengel's Wörterbuch des Verwalt.-Rechts, I,
S. 287 f.
2) Laband, das Staatsrecht des deutschen Reichs, 2. Aufl., II, S. 906.
3) Schimmelpfennig, die preuß. direkten Steuern, 2 Th., 1859. — Denkschrift vom
2. Nov. 1892 zu den dem preuß. Landtage vorgelegten Entwürfen der Steuerreformgesetze (Nr. 8 der
Drucksachen des Abg.. H. 17. Legisl.-Per. V. Session 1892/93); abgedruckt in Schanz's Finanzarchio,
X. Jahrg., 1. Bd., S. 296 ff.