14 Erstes Buch: Geschichtliche Einleitung. III. Kapitel. 8 5.
liche Besitz war am meisten, der adelige am wenigsten belastet) volkswirthschaftlich höchst un—
günstig wirkte. Dazu war die große Masse der Bauern wirthschaftlich unfrei, an die Scholle
gebunden und durch Servituten und Reallasten, Zwangsdienst und Frohnden an wirthschaft-
lichem Fortschritte gehindert. In den Städten dagegen herrschte das engherzigste Zunftsystem,
welches ebenso die gewerbliche Entwickelung hemmte.
Auch in finanzieller Beziehung war der preußische Staat, dessen Finanzen beim Tode
Friedrichs des Großen sehr gut gewesen waren, namentlich in Folge der unglücklichen Kriege
mit Frankreich völlig erschöpft 1).
III. Kapitel.
Preußen im 19. Jahrhundert.
8 5. Die Wiederaufrichtung des preußischen Staates?). Unmittelbar nach dem
traurigen Tilsiter Frieden machte sich die preußische Regierung an die Wiederaufrichtung des
Staates durch eine Reihe tief einschneidender Reformen. Es handelte sich namentlich
darum, die Reste des Feudalstaates zu beseitigen, das Steuerwesen auf neue Grundlagen zu
stellen, die Heeresverwaltung neu zu organisiren, die Selbstverwaltung der Gemeinden ein-
zuführen, und die Behördenorganisation neu zu gestalten. In Angriff genommen wurde das
gewaltige Reformwerk von Frhr. v. Stein; derselbe war allerdings nur vom Herbste 1807
bis Novbr. 1808 Minister, er hat aber in Gemeinschaft mit einer Anzahl tüchtiger Mit-
arbeiter der weiteren Entwickelung in einem Maße die Richtung gegeben, daß nicht mit Un-
recht von den Stein-Hardenberg'schen Reformen gesprochen wird. Im Einzelnen sind folgende
Reformen hervorzuheben:
1. Das Edikt vom 9. Okt. 1807, betr. „den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch
des Grundeigenthums, sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner“, bestimmte
in den §§ 1 und 2, daß jeder Einwohner des Staats „ohne alle Einschränkung in Beziehung
auf den Staat“ zum eigenthümlichen und zum Pfandbesitze unbeweglicher Grundstücke aller
Art, daher der Edelmann zum Besitze nicht bloß adeliger, sondern auch unadeliger, bürgerlicher
und bäuerlicher Güter aller Art, und der Bürger und Bauer zum Besitze nicht blos bürgerlicher,
bäuerlicher und unadeliger, sondern auch adeliger Grundstücke berechtigt ist, ohne daß der eine
oder andere zu irgend einem Gütererwerb eine besondere Erlaubniß bedarf. Ferner wurden die
bisher durch den persönlichen Stand des Besitzers begründeten Einschränkungen gutsherrlicher
Rechte beseitigt. Andererseits wurde jeder Edelmann für befugt erklärt, ohne allen Nachtheil
seines Standes bürgerliche Gewerbe zu betreiben und jeder Bauer und Bürger für berechtigt,
aus dem Bürger= in den Bauern= und aus dem Bauern= in den Bürgerstand überzutreten.
Endlich wurde in § 12 des Edikts die Gutsunterthänigkeit aufgehoben, so daß es nach dem
Martinitage 1810 nur noch freie Leute geben solle. Das Edikt that den ersten Schritt zur
Aufhebung der altständischen Gliederung, Befreiung des Bauernstandes und des Grundeigen-
1) Der Aufwand des preußischen Staates an Leistungen für Frankreich und dessen Bundes-
genossen betrug in der Zeit von 1807—1812 die Summe von 144 473 623 Thlr., an Kontributionen,
Lieferungen und Naturalleistungen aller Art waren außerdem 230 000000 Thlr. aufgebracht worden.
Schulze, das preuß. St. R. 2. Aufl. I. S. 83 N. 2.
2) Schulze, das preuß. Staatsrecht, 2. Aufl. I. S. 82—96. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht,
I. S. 36—48. — Bornhak, Geschichte des preuß. Verwalt.-Rechts, Bd. III, S. 3—223. — Pertz,
Leben des Ministers von Stein. 6 Bde. Berlin 1849 ff. — E. Meier, Reform der Verwaltungs-
organisation unter Stein und Hardenberg, S. 131 ff. — H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im
19. Jahrhundert. 1. Bd. — Ranke, Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg
(1877). — M. Lehmann, Knesebeck und Schön (1875). — Derselbe, Stein, Scharnhorst und
Schön (1877). — Stadelmann, Preußens Könige in ihrer Thätigkeit für die Landeskultur. 1878 ff.