284 Viertes Buch: Die Finanzverwaltung. II. Kapitel. § 71.
dispensiren. Das ist aber nicht der Fall, der Gnadenerlaß ist ein Regierungsakt, der durch die
Regelnüberdie Gesetzgebungnicht betroffen wird. Ebensowenig zutreffend ist der Hinweis darauf,
daß in dem vom Königehandelnden III. Titel der Verfassungsurkunde zwar das Recht der Begnadig-
ung und Strafmilderung, nicht aber das Recht zu finanziellen Gnadenerlassen erwähnt ist, da
der III. Titel keineswegs eine vollständige Aufzählung aller königlichen Rechte enthält und
auch das Begnadigungsrecht auch nur deshalb aufgeführt ist, um zwei Beschränkungen desselben
festzusetzen.
Unbestrittenermaßen ist auch das Gnadenrecht des Königs hinsichtlich des Erlasses von
Steuern und Gebühren seit dem Erlasse der V. U. v. 31/1. 1850 ununterbrochen ausgeübt
worden 1). Ebenso zweifellos ist das Recht des Königs hinsichtlich der Aufgabe kontraktlicher
und anderer privatrechtlicher Ansprüche des Fiskus sowie bei Defekten?).
V. Ueber die Verjährungsfristen bei öffentlichen Abgaben ist das G. v. 18/6. 1840
(G. S. S. 140) ergangen, welches auch auf die neuen Provinzen und Lauenburg ausgedehnt
worden ist und insbesondere bestimmt, daß Reklamationen gegen direkte Steuern, mögen sie
auf Ermäßigung oder gänzliche Befreiung gerichtet sein, binnen drei Monaten vom Tage der
Bekanntmachung der Heberolle oder wenn die Steuer im Laufe des Jahres auferlegt worden,
binnen drei Monaten nach erfolgter Benachrichtigung von deren Betrage oder wenn eine perio-
dische Veranlagung und Anfertigung von Heberollen nicht stattfindet, binnen den ersten drei
Monaten jeden Jahres bei der Behörde angebracht werden müssen (8 1). Der Anspruch auf
Zurückzahlung zu viel erhobener indirekter Abgaben muß in der Regel binnen Jahresfrist vom
Tage der Versteuerung an gerechnet angemeldet und begründet werden (§ 2). Eine Nach-
forderung von Grundsteuern ist zulässig, sowohl bei gänzlicher Uebergehung, wie bei zu ge-
ringem Ansatz, in beiden Fällen aber nur für das Kalenderjahr, in dem die Nachforderung
geltend gemacht wird; dasselbe gilt im Falle der gänzlichen Uebergehung der Klassen-, Gewerbe-
und persönlichen auf besonderen Titeln beruhenden Steuern; im Falle eines zu geringen An-
satzes fällt dagegen bei diesen Steuern jede Nachforderung weg. Bei den in § 2 aufgeführten
indirekten Steuern kann der Betrag dessen, was zu wenig oder gar nicht erhoben worden ist,
nur binnen einem Jahre vom Tage des Eintritts der Zahlungsverpflichtung gerechnet, nachge-
fordert werden (§8 6, 7). Zur Hebung gestellte direkte oder indirekte Steuern, welche im Rück-
stande verblieben oder kreditirt sind, verjähren in vier Jahren vom Ablaufe des Jahres an ge-
rechnet, in welches ihr Zahlungstermin fällt (§ 8). Die festgesetzten Fristen laufen auch gegen
Minderjährige und bevormundete Personen, sowie gegen moralische Personen, denen gesetzlich
die Rechte der Minderjährigen zustehen, ohne Zulassung der Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand, jedoch mit Vorbehalt des Regresses gegen die Vormünder und Verwalter (88 11).
Die Vorschriften des G. v. 18/6. 1840 finden auch auf die Gewerbesteuer, Einkommen-
steuer und Ergänzungssteuer Anwendung soweit die betr. Gesetze keine abweichenden Bestimm-
ungen enthalten. §# 79 d. Gewerbesteuer-G. v. 24/6. 1891, § 81 d. Einkommensteuer-G. v.
24/6. 1891, § 46 d. Ergänzungssteuer-G. v. 14/7. 1893) ).
§5 71. Kassenwesen und Rechnungskontrolle; die Oberrechnungskammer ). I. Das
Kassen= und Rechnungswesen umfaßt die Erhebung, Verausgabung und Verrechnung der für
die staatliche Finanzverwaltung bestimmten Gelder. Kassen führung und Rechnungs-
legung sind an bestimmte Vorschriften geknüpft und müssen unter Zugrundelegung des Etats
1) Vgl. die Citate bei Laband a. a. O., S. 201, Note 28.
2) Rönne a. a. O., IV, S. 745.
3) Bezüglich der Verjährung der Erbschaftssteuer und der Stempelsteuern vgl. § 68.
4) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., IV, S. 873 ff. — Schulze,
das preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., II, S. 277. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, III, S. 573 ff. —
Zeller, Art. Staatskassen= und Staatsrechnungswesen in Stengel's Wörterbuch des Verw.=
Rechts, II. S. 477 ff., 502 ff. — Herrfurth, das gesammte preußische Rechnungswesen (1881). —
Walter, die preuß. Oberrechnungskammer (1887).