Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

292 Viertes Buch: Die Finanzverwaltung. III. Kapitel. 8 72. 
Absicht geschehen wäre die Verpflichtung des Staates zu der betreffenden Leistung aufzuheben 
und dies im Etatsgesetze in unzweideutiger Weise zum Ausdruck gebracht wäre 7. 
Insoweit die Ausgaben nicht auf einem schon vorhandenen Rechtstitel beruhen, enthält 
allerdings der Etat für die Regierung die Ermächtigung diese Ausgaben zu machen. Doch hat 
das nicht den Sinn, daß eine ohne diese Ermächtigung gemachte Ausgabe rechtlich ungültig 
wäre und der gezahlte Betrag als indebite gezahlt wieder zurückgefordert werden könnte; 
vielmehr hat auch hier der Etat nur Bedeutung für das Verhältniß der Regierung zur Volks- 
vertretung. Sonach hat der Art. 99 V. U. das Wesen der Etats, wie derselbe zur Zeit der ab- 
soluten Monarchie bestand, nicht geändert, für das Verhältniß des Staates zu seinen Gläubigern 
und Schuldnern ist der Etat ohne Bedeutung, seine Wirkung äußert er lediglich bei der Frage 
der Haftbarkeit der Regierung bezw. ihrer Organe für die nach Maßgabe des Etats oder ohne 
denselben, bezw. im Widerspruch mit demselben gemachten Ausgaben. 
Da der Etat nur ein Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben ist, der auf mehr oder 
minder zutreffenden Schätzungen beruht, so sind beim Vollzuge des Budgets Abweichungen so- 
wohl in Bezug auf die Einnahmen, wie auf die Ausgaben unvermeidlich. Bezüglich der Mehr- 
einnahmen ist dabei nichts weiter zu bemerken, als daß sie zu Gunsten der Staatskasse ver- 
rechnet werden müssen. Was die Ausgaben anlangt, so können Mehr= oder Minderausgaben 
vorkommen. Inwieweit sich etwa die Regierung dadurch haftbar macht, daß sie eine im Budget 
vorgesehene nothwendige Ausgabe unterläßt, ist eine Frage, welche nicht ins Budgetrecht gehört. 
Mehrausgaben können in doppelter Weise vorkommen: Entweder, es ist für den be- 
treffenden Zweck ein Betrag im Budget eingesetzt, derselbe ist aber in Wirklichkeit nicht aus- 
reichend, oder es ist überhaupt nichts vorgesehen. In beiden Fällen bildet der Etat keineswegs 
die unüberschreitbare Schranke, so daß die Regierung gezwungen wäre, die Ausgaben zu unter- 
lassen und die etwa gemachte Ausgabe für den Staat ohne rechtliche Bedeutung wäre; die Sache 
liegt vielmehr so, daß die Regierung die Ausgaben machen kann bezw. muß, wenn dieselbe 
erforderlich bezw. nothwendig ist, daß sie aber die nachträgliche Genehmigung der Volksver- 
tretung einholen muß, während sie bezüglich der etatsmäßigen Ausgaben in ihrer Verantwort- 
lichkeit durch das Etatsgesetz gedeckt ist. In diesem Sinne heißt es in Art. 104 Abs. 1 V. U. 
„Zu Etatsüberschreitungen ist die nachträgliche Genehmigung der Kammern erforderlich.“ Ist 
dieselbe ertheilt, so hat dies für die betreffende Ausgabe die gleiche Bedeutung, wie wenn die- 
selbe bereits die vorherige Zustimmung der Volksvertretung im Etatsgesetze erhalten gehabt 
hätte. Den Begriff der Etatsüberschreitung bestimmt § 19 d. G. v. 27/3.1872 über die Ein- 
richtung und die Befugnisse der Oberrechnungskammer dahin: „Etatsüberschreitungen im Sinne 
des Art. 104 V. U. sind alle Mehrausgaben, welche gegen die einzelnen Kapitel und Titel des 
nach Art. 99 festgestellten Staatshaushalts oder gegen die von der Landesvertretung genehmigten 
Titel der Spezialetats stattgefunden haben, soweit nicht einzelne Titel in dem Etat als über- 
tragbar ausdrücklich bezeichnet sind und bei solchen die Mehrausgaben bei einem Titel durch 
Minderausgaben bei anderen ausgeglichen werden.“ 
III. Weil das Budget ein Voranschlag ist, so soll es vor dem Beginne des betreffenden 
Etatsjahres in der Form des Gesetzes festgestellt sein. Es ist nun möglich, daß sich die Er- 
lassung des Etatsgesetzes aus irgend welchem Grunde über den Beginn des Etatsjahrs hinaus 
verzögert, oder daß überhaupt eine Einigung zwischen der Regierung und dem Landtag über 
den Etatsentwurf nicht zu erzielen ist. In beiden Fällen entsteht dadurch ein Zustand, der 
mit Art. 99 V. U. in Widerspruch steht. Es fragt sich nun was in einem solchen Falle zu ge- 
schehen hat. Man wird dabei zu unterscheiden haben: 1. Die zu Recht bestehenden Einnahmen 
werden ohne Etat forterhoben, da dieselben überhaupt vom Etat nicht abhängig sind. Nament- 
  
1) Die betr. Bestimmung des Etatsgesetzes würde dann in den Fällen die Bedeutung eines 
materiellen Gesetzes haben, wenn dadurch Gläubigern des Staates ihr Anspruch genommen würde.
	        
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