§ 74. Staatsverwaltung u. Selbstverwaltung. Geschichtl. Entwickelung d. Selbstverwaltung in Pr. 293
lich besteht für die Unterthanen die Verpflichtung zur Bezahlung der gesetzlich bestehenden
Steuern und Abgaben auch dann, wenn ein Haushaltsgesetz nicht zu Stande gekommen ist.
Dagegen kann die Regierung selbstverständlich neue Einnahmsquellen nicht eröffnen, zu welchen
sie eine Ermächtigung durch Gesetz nothwendig hat. 2. Anlangend die Ausgaben so ist vor
Allem festzuhalten, daß die Volksvertretung ein unbedingtes Ausgabebewilligungsrecht in dem
Sinne nicht hat, daß von der Regierung keine Ausgabe gemacht werden dürfte, die nicht im
Etatsgesetze Aufnahme gefunden haben. Rechtlich nothwendige Ausgaben müssen vielmehr auch
dann gemacht werden, wenn sie im Etat nicht stehen. In Folge dessen hat die Regierung nicht
bloß das Recht, sondern auch die Pflicht solche Ausgaben trotz des Fehlens des Etatsgesetzes
zu machen. Aber auch die übrigen Ausgaben, welche durch das Staatsinteresse geboten sind,
kann die Regierung machen, aber sie muß, da sie durch das Etatsgesetz nicht gedeckt ist, nach-
weisen, daß dieselben im Interesse des Staats gemacht wurden.
§ 73. Herstellung und Vollzug des Budgets; die Entlastung 1). I. Das gesammte
Etatswesen wird im Finanzministerium bearbeitet und zwar in der Abtheilung für das Etats-
und Kassenwesen. Die Aufstellung des Etats erfolgt nach Maßgabe der Kab.O. v. 29/5.1826
(G. S. S. 45) durch die einzelnen Ressortministerien und obersten Verwaltungschefs unter deren
Verantwortlichkeit, jedoch steht dem Finanzminister eine Mitrevision der Etats zu, welche jedoch
aber nach Maßgabe der Kab.O. vom 29/5. 1826 nur in finanzieller Hinsicht stattfinden soll.
Deshalb wird bei der Prüfung des Etats seitens des Finanzministers lediglich von folgenden
Gesichtspunkten ausgegangen: a) die Etats müssen in einer zweckmäßigen, übersichtlichen, mög-
lichst einfachen und soweit es die Verschiedenheit der Gegenstände gestattet, übereinstimmenden
Form aufgestellt sein; b) die Prüfung wird dahin gerichtet, ob auch in Beziehung auf einzelne
Etatspositionen oder auf das Ergebniß des ganzen Etats sich Anlaß zu Bemerkungen findet.
Die Voranschläge für die einzelnen Verwaltungszweige bilden die Grundlage des allge-
meinen Staatshaushaltsetats, welchen der Finanzminister entwirft.
II. Auf Grund des gemäß § 99 V. U. in Form des Gesetzes festgestellten Staatshaus-
haltsetats wird die Verwaltung während der betreffenden Finanzperiode geführt. Die Rech-
nungen über den Staatshaushaltsetat werden sodann von der Oberrechnungskammer geprüft
und festgestellt (vgl. 8 71).
Die allgemeine Rechnung über den Staatshaushalt jedes Jahres, einschließlich einer
Uebersicht über die Staatsschulden ist nach Art. 104 Abs. 2 V.U. mit den Bemerkungen der
Oberrechnungskammer zur Entlastung der Staatsregierung den Kammern vorzulegen.
Fünftes Buch.
Die Gemeinden und die Kommunalverbände.
§ 74. Staatsverwaltung und Selbstverwaltung 2). Die geschichtliche Entwickelung
der Selbstverwaltung in Preußen 3). I. Der Staatsverwaltung und dem Behördenorganismus,
1) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., IV, S. 739 ff., I, S. 649 ff., 621.
2) Stengel, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts, S. 109 ff. — Stein, Verwaltungs-
lehre, 2. Aufl,, I. Th., 2. Abth. — G. Meyer, Verw.-Recht, I. S. 16. — Loening, Verw.-Recht,
S. 43. — Neukamp, der Begriff der Selbstverwaltung im Rechtssinn, Archiv f. öffentliches Recht, IV,
S. 377 ff., 525 ff.
3) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 3. Aufl., II a, S. 523 ff. — Schulze,
das preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., I, S. 442 ff. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, II. S. 100 ff. —
Stengel, die Organisation der preuß. Verwaltung. S. 84 ff.