§ 74a. Die Reform der Kommunalabgaben und die sog. Dotationsgesetze. 297
der Städte und der Landgemeinden zusammengesetzt war, lediglich aus gewählten Vertretern
der zur Provinz gehörigen Stadt= und Landkreise. Höchst bedeutsam ist sodann, daß die Kom-
munalangelegenheiten der Provinzialverbände, welche früher durchweg durch einen staatlichen
Beamten, den Oberpräsidenten, besorgt wurden, nunmehr durch die vom Provinziallandtag
gewählten Organe der Provinzialverwaltung, nämlich den Provinzalausschuß und den Landes-
hauptmann (Landesdirektor) bezw. dieletzterem beigegebenen Provinzial beamten besorgt werden.
Nach dem Vorbilde der Kr.O. v. 13/12.1872 und der Pr.O. v. 29/6.1875 haben auch
die übrigen Provinzen des preußischen Staates im Laufe der nächsten Jahre neue Kreisord-
nungen und Provinzialordnungen erhalten. Nur in der Provinz Posen bestehen wenigstens
der Hauptsache nach noch die alte Kreisordnung und Provinzialordnung, da die eigenthüm-
lichen Verhältnisse dieser Provinz die Einführung einer neuen auf dem Prinzipe ausgedehnter
Selbstverwaltung beruhenden Kreis= und Provinzialverfassung vorläufig nicht thunlich er-
scheinen ließen 1.
Die für Hannover, Hessen-Nassau, Rheinland, Westfalen und Schleswig-Holstein er-
lassenen Kreisordnungen und Provinzialordnungen weichen mit Rücksicht auf die besonderen
Verhältnisse sowohl von der Kr. O. v. 13/12. 1872 und der Pr.O. v. 29/10. 1875 als von
einander in einzelnen Punkten ab, namentlich ist nicht in allen Provinzen das Institut der
Amtsvorsteher eingeführt, die Grundlagen der Provinzial= und Kreisverfassung sind aber überall
dieselben und in allen wesentlichen Vorschriften stimmen sämmtliche Kreisordnungen und
Provinzialordnungen überein.
Dagegen gehen die in den verschiedenen Provinzen in Geltung befindlichen Gemeinde-
ordnungen theilweise sehr erheblich auseinander.
§ 74a. Die Reform der Kommunalabgaben und die sog. Dotationsgesetze ). I. Das
Besteuerungsrecht der Gemeinden war bisher, abgesehen von dem G. v. 27/7. 1885 betr. Er-
gänzung und Abänderung einiger Bestimmungen über Erhebung der auf das Einkommen ge-
legten direkten Kommunalabgaben (G.S. S. 327), welches für die ganze Monarchie mit Aus-
nahme der hohenzollern'schen Lande erlassen wurde, und im Wesentlichen die Gemeindebesteuer-
ung der juristischen Personen u. s. w. und der Forensen regelte und Bestimmungen zur Ver-
meidung von Doppelbesteuerungen traf (sog. Kommunalsteuernothgesetz), nicht einheitlich
geordnet. Im Uebrigen waren die Vorschriften über die Gemeindebesteuerung in den in den ver-
schiedenen Landestheilen giltigen Gemeindeverfassungsgesetzen zerstreut, die im Einzelnen vielfach
von einander abwichen, wenn sie auch in den Grundzügen übereinstimmten. Diese Uebereinstimm-
ung zeigte sich namentlich darin, daß nach allen Gemeindegesetzen die Gemeinden die Aufbringung
von Kommunalsteuern entweder in der Form von Zuschlägen zu den direkten Staatsstenern,
oder als besondere direkte oder indirekte Gemeindesteuern, letztere selbstverständlich innerhalb
der durch die Reichsgesetze, insbesondere den Z. V.V. v. 8/7. 1867, gesteckten Grenzen be-
schließen konnten. Dagegen bestanden im Allgemeinen Vorschriften darüber nicht, unter welchen
Voraussetzungen die Gemeinden von ihrem Besteuerungsrechte Gebrauch machen dürfen, daß
sie es insbesondere nur subsidiär in Ermangelung anderer Einnahmequellen gebrauchen und daß
sie zu den direkten Steuern erst nach den indirekten Steuern greifen sollen.
Dieser Rechtszustand hat eine sehr wesentliche Aenderung erfahren durch die beiden G.
v. 14/7. 1893 wegen Aufhebung direkter Staatssteuern und über die Kommunalabgaben. Das
1) Obwohl in Posen in der Hauptsache noch die alte Kreis= und Provinzial-Verfassung besteht,
sind trotzdem durch G. v. 19/5. 1889 (G. S. S. 108) das L.V.G. v. 30/7. 1883 und das Zust. G. v.
1/8. 1883 daselbst eingeführt worden (vgl. § 35).
2) Denkschrift vom 2. Novbr. 1892 zu den dem preuß. Landtage vorgelegten Entwürfen der
Steuerreformgesetze (Nr. 8 der Drucks. des preuß. Abg.-H., 17. Legislat.-Per., V. Session 1892/93).
Abgedruckt in Schanz“' Finanzarchiv, X, 1. Bd., S. 296 ff. — Gneist, die preuß. Finanzreform
durch Regulirung der Gemeindesteuern 1881. — Gerstfeld, Städtefinanzen in Preußen, 1882.