16 Erstes Buch: Geschichtliche Einleitung. III. Kapitel. 85.
4. Da das ganze Behördensystem sich überlebt hatte, trat eine den Bedürfnissen des
modernen Staates entsprechende umfassende Neuorganisation der Behörden ein. (Agl.
darüber in § 6.)
5. Der Neugestaltung der Staatsverwaltung ging die Reform des Heerwesens zur
Seite. Im August 1808 erschien eine Anzahl von Verordnungen, welche die geistige und
sittliche Hebung des Heeres bezweckten, wie die Kriegsartikel vom 3/8. 1808, welche die ent-
ehrenden und grausamen körperlichen Strafen im Heere beseitigten, das Reglement vom 6/8.
1808, welches bestimmte, daß von nun an einen Anspruch auf Offiziersstellen in Friedens-
zeiten Kenntnisse und Bildung, in Kriegszeiten ausgezeichnete Tapferkeit und Ueberblick ge-
währen sollen und alle Standesvorrechte beim Militär ganz abschaffte. Die Werbung im
Auslande wurde ganz beseitigt, die Armee sollte lediglich aus Landeskindern bestehen. Die
allgemeine Wehrpflicht wurde 1813 zunächst vorübergehend, für die Dauer des Krieges, i. J.
1814 aber dauernd eingeführt 1).
Nachdem in Preußen durch diese Reformen wieder die Grundlagen eines neuen Staats-
wesens gelegt worden waren, erlangte es nach Niederwerfung Napoleons in den Befreiungs-
kriegen auch wieder seine frühere äußere Machtstellung. Durch die Wiener Kongreßakte vom
9. Juni 1814 und den darauf beruhenden Friedens= und Freundschaftsvertrag mit Sachsen vom
18/5. 1815 erhielt es von Sachsen den größeren Theil seines Staatsgebiets (327 Quadrat-
meilen mit 864000 Einwohnern). Aus den von Sachsen abgetretenen Gebietstheilen wurde mit
Hinzufügung mehrerer früherer preußischer Besitzungen die Provinz Sachsen gebildet. Von
den im J. 1807 verlorenen polnischen Besitzungen erhielt es nur den kleineren Theil zurück;
insbesondere erhielt es von dem Herzogthum Warschau nur etwa ein Viertel (536 Quadrat-
meilen mit 820 000 Einwohnern) unter dem Namen eines Großherzogthums Posen, mit
dem auch der Netzedistrikt vereinigt wurde. Thorn, die Kreise Michelau und Kulm, sowie die
ehemalige Republik Danzig wurden mit Westpreußen vereinigt. Von den Besitzungen links
der Elbe erhielt Preußen wieder die Altmark, die westliche Hälfte des Herzogthums Magde-
burg, Halberstadt, das Eichsfeld, Quedlinburg, Nordhausen, Mühlhausen, Erfurt, ferner die
Souveränität über Wernigerode; das von Hannover abgetretene Lauenburg wurde an Däne-
mark gegen Neuvorpommern sammt der Insel Rügen vertauscht, so daß nun Pommern ganz
in preußischem Besitze war.
Die westfälischen Gebiete, die früher preußisch gewesen waren, wurden sämmtlich wieder
in Besitz genommen, dazu kam die Souveränität über die Gebiete einer Anzahl mediatisirter
Fürsten und Grafen, sowie das von Hessen-Darmstadt abgetretene ehemals kurkölnische Herzog-
thum Westfalen.
Zu den rheinischen Besitzungen, welche Preußen vor dem Jahre 1801 gehabt hatte,
kamen die Herzogthümer Jülich und Berg als Ersatz für die Ueberlassung der Fürstenthümer
Ansbach und Bayreuth an Bayern, dann die ehemals kurkölnischen und kurtrierischen Lande
links des Rheins, Theile von Luxemburg und Limburg, die Grasschaften Manderscheid und
Schleiden, die Abteien Malmedy und Korneliusmünster, die Reichsstädte Köln und Aachen
und verschiedene pfälzische, mainzische und rheingräfliche Besitzungen. Im zweiten Pariser
Frieden erwarb Preußen noch einige andere rheinische Besitzungen, wie Saarbrücken, Saar-
louis und einige Orte des Moseldepartements. Alle diese Besitzungen am Rhein wurden zum
Großherzogthum Niederrhein vereinigt, das mit Jülich, Kleve und Berg die Rheinprovinz
bildete.
Das als 22. Kanton der schweizerischen Eidgenossenschaft einverleibte Fürstenthum
Neuenburg trat wieder in Personalunion zur Krone Preußen.
1) Lehmann, das Leben von Scharnhorst. Bd. I.