304 Fünftes Buch: Die Gemeinden und die Kommunalverbände. I. Kapitel. § 75.
nicht als Organe der Gemeindekorporation und sind daher nicht von den Beschlüssen der Ge-
meindevertretung abhängig, sie sind vielmehr als Organe der staatlichen Verwaltung thätig,
weshalb auch der Staat gewöhnlich wenigstens theilweise für die Kosten aufkommt. Daraus,
daß in den angegebenen Fällen die gemeindlichen Behörden als Organe der allgemeinen Landes-
verwaltung thätig werden, folgt dann weiter, daß sie in dieser Richtung nicht der Oberaussicht
unterliegen, der die Gemeinden hinsichtlich ihres eigenen Wirkungskreises unterliegen, son-
dern dem Oberaufsichtsrechte und der Disciplin, die von den vorgesetzten staatlichen Behör-
den gegenüber den untergeorneten gehandhabt wird.
II. Wiesich schon aus der Darstellung dergeschichtlichen Entwickelung ergiebt, besitzt Preußen
ein einheitliches Gemeinderecht weder für die Stadtgemeinden noch für die Landgemeinden.
Vielmehr gelten in den verschiedenen Provinzen verschiedene Städteordnungen und Gemeinde-
gesetze, über welche im Folgenden ein Ueberblick mit Angabe des Geltungsbereiches eines jeden
Gesetzes gegeben werden soll.
A. Städteordnungen. 1. Die Städteordnung vom 30/5. 1853 gilt in allen den-
jenigen Städten der Provinzen Preußen (West-Preußen und Ost-Preußen), Posen, Schlesien,
Brandenburg, Sachsen und Pommern (mit Ausnahme von Neuvorpommern), welche früher
auf dem Provinziallandtage im Stande der Städte vertreten waren, sowie in allen nicht in dieser
Kurie vertretenen Ortschaften, in denen früher die St. O. von 1808 oder die rev. St.O. v. 1831 ge-
golten hatte. Für die übrigen Gemeinden, die vor Erlaß der G.O. v. 11/3. 1850 nicht eine Dorf-
verfassung, sondern Stadtrecht gehabt hatten, räumte die St.O. v. 1853 dem Könige das Recht ein,
nach Anhörung des Provinziallandtags ihre Kommunalverhältnisse nach Maßgabe derjenigen Vor-
schriften zu regeln, welche die Städte-Ordnung für die Organisation der Städte von höchstens 2500
Einwohnern aufsgestellt hat. Nach der Minist.-Instr. v. 5/6. 1853 ist es dort einstweilen bei den bis-
herigen Verhältnissen geblieben.
2. In Neuvorpommern und Rügen erfreuten sich die mit lübischem Rechte beliehenen
Städte von jeher eines besonders großen Maßes von Autonomie und entwickelte daher jede ihre Ver-
fassung für sich. Durch das G. v. 31/5. 1853, betr. die Verfassung der Städte in Neuvorpommern und
Rügen (G.S. S. 291) wurden die bisherigen Verfassungen aufrecht erhalten und soweit sie (in Wol-
gast und Grimma) durch die G.O. v. 11/3. 1850 beseitigt waren, wieder hergestellt. Gleichzeitig
wurde jedoch für jede Stadt die Errichtung eines königl. Genehmigung unterliegenden Stadtrecesses
angeordnet (§§ 3, 4 d. G.), für welchen das Gesetz einige Grundbestimmungen feststellt: 1. der Bürger-
meister wird in Gemäßheit des Schwedischen Patents v. 8/2. 1811 vom Könige auf Lebenszeit ernannt;
2. in allen die Mitwirkung der bürgerlichen Kollegien erfordernden Angelegenheiten bedarf es, um die
Städte zu verbinden, der Uebereinstimmung des Magistrats und des Repräsentantenkollegiums (Stadt-
verordnetenversammlung); 3. bezüglich der Aufbringung der Gemeindesteuern gelten dieselben Grund-
sätze wie nach der St.O. v. 30/5. 1853 (§ 5 d. G.) 1). — Im Uebrigen ist die Verfassung in den
einzelnen Städten verschieden; hervorzuheben ist, daß der Magistrat sich durch Selbstwahl ergänzt.
3. In Westfalen gilt die St.O. v. 19/3. 1856 für diejenigen Städte, in denen bei Verkün-
digung der G.O. v. 1850 die rev. St.O. v. 1831 in Kraft war oder in denen diejenige Verfassung,
welche die G.O. v. 1850 für Ortschaften von mehr als 1500 Einw. vorschrieb, eingeführt war, soferne
diese Städte bei Einführung der G.O. v. 11/3. 1850 aus dem Amtsverband mit den Landgemeinden
ausgeschieden sind.
4. In der Rheinprovinz gilt die St.O. v. 15/5. 1856 für alle auf dem Provinziallandtag
im Stande der Städte vertreten gewesenen Gemeinden, die entweder mehr als 10 000 Einw. haben,
oder in denen die St.O. v. 1831 eingeführt war. Durch kgl. Verordnung kann außerdem die St.O.
auch anderen im Stande der Städte vertreten gewesenen Gemeinden auf ihren Antrag verliehen werden;
es ist dies allgemein an alle im Stande der Städte vertretenen Gemeinden, die nicht die Landgemeinde-
verfassung vorzogen, geschehen durch Allerh. Erlaß v. 15/5. 1856. Nach § 21 der rhein. Kr. O. kann
übrigens auch die St.O. nicht im Stande der Städte vertretenen Gemeinden nach Anhörung des
Provinziallandtags durch kgl. Verordnung verliehen werden.
5. In Schleswig-Holstein gilt das Gesetz, betr. die Verfassung und Verwaltung der
Städte und Flecken in der Provinz Schleswig-Holstein vom 14/4. 1869 (G. S. S. 589), welches mit
geringen Abänderungen auch in Lauenburg eingeführt ist (G. v. 16/12. 1870, Offiz. Wochenblatt
S. 521).
6. In Hannover gilt noch die revid. St.O. v. 24/6. 1858.
1) Vom 1/4. 1895 kommt das Kommunalabgabengesetz v. 14/7. 1893 zur Anwendung.