§ 76. Die Stadtgemeinden. Die Städteordnung f. d. östl. Provinzen der Monarchie 30/5. 1853 2c. 307
bezirke können dagegen mit einer Stadt nur mit Zustimmung der betheiligten Gemeindever-
tretungen bezw. Gutsbesitzer und nach Anhörung des Kreistages mit königlicher Genehmigung
vereinigt werden. Dieser letzteren und der Anhörung des Kreistages bedarf es auch, wenn
Theile von ländlichen Gemeinde= oder Gutsbezirken zu Stadtbezirken geschlagen werden sollen
oder umgekehrt, sofern die Betheiligten damit nicht einverstanden sind, die Aenderung aber im
öffentlichen Interesse nothwendig erscheint; bei Zustimmung aller Betheiligten genügt An-
hörung des Kreistags und Beschluß des Bezirksausschusses. Die in Folge der Bezirksver-
änderung etwa nöthige Auseinandersetzung erfolgt durch den Bezirksausschuß, unbeschadet aller
Privatrechte. Streitigkeiten über die Grenzen der Stadtbezirke werden im Verwaltungsstreit-
verfahren durch den Bezirksausschuß (in Berlin durch das Oberverwaltungsgericht) erledigt;
der Bezirksausschuß (in Berlin der Oberpräsident) ist auch befugt, in solchen Fällen, sofern es
das öffentliche Interesse erheischt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung die Grenzen vorläufig
festzusetzen (§2 östl. St. O., §2 Wiesb. St.O., Z.G. 8§§8 8, 9, 21).
II. Angehörige der Stadtgemeinde sind mit Ausnahme der servisberechtigten Militär-
personen des aktiven Dienststandes alle Einwohner, d. h. alle Personen, welche nach den Be-
stimmungen der Gesetze in dem Stadtbezirk ihren Wohnsitz haben. Alle Einwohner des Stadt-
bezirks sind zur Mitbenutzung der öffentlichen Gemeindeanstalten berechtigt und zur Theilnahme
an den Gemeindelasten verflichtet (§§ 3, 4 Abs. 1 östl. St.O. u. Wiesb. St.O.).
Das Bürgerrecht, welches in der Theilnahme an den Wahlen, sowie in der Befähigung
zur Uebernahme unbesoldeter Aemter in der Gemeindeverwaltung und zur Gemeindevertretungbe-
steht, entsteht kraft Gesetzes für jeden selbstständigen Preußen, wenn er seiteinem Jahre 1. Einwoh-
ner des Stadtbezirkes ist und zur Stadtgemeinde gehört; 2. keine Armenunterstützung aus öffent-
lichen Mitteln empfangen; 3. die ihn betr. Gemeindeabgaben gezahlt hat und 4. entweder a) ein
Wohnhaus im Stadtbezirk besitzt oder b) zu einem gewissen Minimalsteuerbetrag (Grundsteuer
bezw. Einkommensteuer) veranlagt ist (65 a. a. O., vgl. S5 des G. v. 14/7. 1893 die Aufhebung
direkter Staatssteuern) 1). Verlegt ein Bürger seinen Wohnsitz nach einer anderen Stadt, so kann
ihm das Bürgerrecht in seinem neuen Wohnort, wenn sonst die Erfordernisse zur Erlangung
desselben vorhanden sind, vom Magistrate im Einverständnisse mit der Stadtverordnetenver-
sammlung schon vor Ablauf eines Jahres verliehen werden. Diese Bestimmungen finden auch
dann Anwendung, wenn der Besitzer eines einen besonderen Gutsbezirk bildenden Guts oder
ein stimmberechtigter Einwohner einer Landgemeinde seinen Wohnsitz nach einer Stadt verlegt.
Männern, die sich um die Stadt verdient gemacht haben, kann der Magistrat im Einverständniß
mit der Stadtverordnetenversammlung, ohne Rücksicht auf die oben gedachten besonderen Er-
fordernisse das Ehrenbürgerrecht ertheilen, wodurch keine städtischen Verpflichtungen ent-
stehen (§ 6a. a. O.).
Verloren geht das Bürgerrecht 1. durch Fortfall eines seiner Erfordernisse; 2. durch
rechtskräftige Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte; 3. durch rechtskräftige Aberkennung
der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter. Die Ausübung des Bürgerrechts ruht,
1) Was den Erwerb des Bürgerrechts durch Gewerbetreibende anlangt, so erwarben sie
nach der östl. St. O. § 5 Z. 4b, soferne sie selbstständige preuß. Staatsangehörige und die in Z. 1—3
a. a. O. aufgeführten Voraussetzungen gegeben waren, das Bürgerrecht von Rechtswegen, wenn sie ein
stehendes Gewerbe selbstständig als Haupterwerbsquelle und in Städten von mehr als 10000 Ein-
wohnern mit wenigstens zwei Gehülfen betrieben; nach R.Gew.O. 8§ 13 tritt jedoch der Bürgerrechts-
erwerb auf Grund des Gewerbebetriebs gegen den Willen der Gewerbetreibenden nicht mehr ein, sondern
der Gewerbetreibende ist nur, wenn er das Gewerbe in einer Gemeinde drei Jahre betrieben hat, auf
Verlangen der Gemeindebehörde verpflichtet, daselbst das Bürgerrecht zu erwerben; jedoch darf alsdann
von ihm kein Bürgerrechtsgeld gefordert und auch nicht verlangt werden, daß er ein anderweitiges
Bürgerrecht aufgebe. Will er das Bürgerrecht vor Ablauf der drei Jahre erwerben, so muß er Bürger-
rechtsgeld zahlen.
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