22 Erstes Buch: Geschichtliche Einleitung. III. Kapitel. § 7.
kreise bilden, zu demselben gehören sollen und daß an der Spitze eines jeden Kreises ein Land-
rath als Organ der Vollziehung der Verfügungen der Regierung stehen solle. Durch Kab.-O.
v. 11/6. 1816 erging dann eine vorläufige Instruktion für die Landräthe, welche namentlich
bezüglich der Wahl der Landräthe durch die Kreisstände und ihre Anstellung durch den König
ausführlichere Bestimmungen traf. Endlich wurde durch Rescript v. 24/11.1822 den Regier=
ungen eine ausführliche 56 Paragraphen enthaltende Instruktion v. 31/12. 1816 für die Land-
räthe und die ihnen untergeordneten Kreisoffizianten zugefertigt. Im Uebrigen blieb es zu-
nächst bei der bestehenden Verfassung der Kreis= und Lokalverwaltung, namentlich der guts-
herrlichen Gerichtsbarkeit.
§ 7. Die Rechtspflege und die Justizverwaltung 1). Auf Grund der Friedericianischen
Kodifikation gestaltete sich die Gerichtsverfassung dahin, daß den Gerichtshof dritter Instanz für
das ganze Staatsgebiet das Geh. Obertribunal zu Berlin bildete, als Gerichte zweiter In-
stanz bestanden in den einzelnen Provinzen Landesjustizkollegien, welche gewöhnlich den Namen
„Regierung“ führten; die Untergerichte waren entweder Staatsgerichte oder Privatgerichte
(Patrimonialgerichte) bezw. Stadtgerichte unter verschiedenen Namen?).
Die Friedericianische Justizreform hatte Einheit auf dem Gebiete der Justiz geschaffen
durch Kodifikation des gesammten Privat-, Straf= und Prozeßrechts und die Errichtung eines
obersten Gerichtshofs für alle Provinzen. Hierdurch, sowie durch die den Gerichten gewähr-
leistete Unabhängigkeit hinsichtlich der Rechtsprechung, nahm Preußen in Bezug auf die Justiz
eine so hervorragende Stellung ein, daß zu eingreifenden reformatorischen Maßregeln kein Anlaß
war. In Folge dessen haben denn auch die Veränderungen in der Justizorganisation, welche
im Anschluß an die Reorganisation der Verwaltungsbehörden erfolgten, die Grundlagen nicht
betroffen. Sie beschränkten sich auf eine schärfere Scheidung der Justiz von der Verwaltung
in der Mittelinstanz, wo an Stelle der alten „Regierungen" die Oberlandesgerichte traten,
die Aufhebung der städtischen Gerichtsbarkeit und in Folge dessen Beseitigung der bisherigen
Stadtgerichte und die Neugestaltung des Justizministeriums.
Als jedoch im Jahre 1815 Preußen die Rheinlande erhielt, welche an dem seit zwei
Jahrzehnten in Geltung befindlichen französischen Rechte festhielten, Posen, dem man aus
politischen Gründen eine gewisse Sonderstellung einräumen mußte, Neuvorpommern, wo der
bestehende Rechtszustand völkerrechtlich gewährleistet war 3) und verschiedene auf dem rechten
Rheinufer gelegene Gebietstheile, in denen gemeines Recht galt, wurde die bisherige Einheit
des Rechts und der Gerichtsverfassung nicht mehr aufrecht gehalten. Seit 1815 zerfiel viel-
mehr Preußen in drei Rechtsgebiete: 1. das Gebiet des französischen Rechts, umfassend das
linke Rheinufer und auf dem rechten das Herzogthum Bergj; oberster Gerichtshof für dieses
Gebiet war der rheinische Kassationshof zu Berlin; 2. das Gebiet des gemeinen Rechts, um-
fassend Neuvorpommern mit dem Oberappellationsgerichte zu Greifswald und den rechts-
rheinischen Theil des Regierungsbezirks Koblenz mit dem Revisionshofe des Justizsenats zu
Ehrenbreitstein; 3. das Gebiet des preußischer Rechts mit dem Oberappellationsgerichte zu
Posen für die Provinz Posen und dem Obertribunale zu Berlin für die übrigen Provinzen.
Das Obertribunal wurde nach und nach für Revisionen und Nichtigkeitsbeschwerden zum Ge-
1) Bornhak, Gesch. des preuß. Verwaltungsrechts, Bd. II, S. 321—29, III, 122—144.
2) Daneben bestanden noch einzelne Sondergerichte wie die französischen Gerichte, die Univer-
sitätsgerichte, das bischöfliche Landvogteigericht des Ermelandes zu Heilsberg u. s. w.
3) Im Frieden zu Kiel (14/1. 1814) hatte die schwedische Krone in Art. VIII zu Gunsten ihrer
ehemaligen Unterthanen sich die Erhaltung aller Rechte, Freiheiten und Privilegien zusichern lassen.
Dänemark konnte daher Neuvorpommern an Preußen nur unter der gleichen Zusicherung abtreten.
Dies ist der Grund, daß noch heutzutage der Regierungsbezirk Stralsund zu manchen allgemeinen
Einrichtungen des preußischen Staats eine Sonderstellung einnimmt. Schulze, Preuß. Staatsrecht.
2. Aufl. I, S. 96 N. 1.