8 87. Die Verfassung der Provinzialverbände. 379
Der Wirkungskreis der Provinziallandtage war nach den einzelnen Provinzen verschieden,
doch umfaßte derselbe überall das Landarmenwesen, die Verwaltung der Irrenanstalten, Taub-
stummen= und Blindeninstitute, der Provinzialfeuersocietäten, des Provinzialstraßenwesens,
der Landesmeliorationen und ähnliche Wohlfahrtsangelegenheiten. Zur Besorgung der laufenden
Geschäfte der Kommunalverwaltung konnten die Provinziallandtage geeignete Personen als
Kommissäre oder Kommissionen wählen und bestellen. Nach der V. v. 21/6. 1842 hatten sie
ferner die Befugniß, die Wahrnehmung der außer dem Landtage vorkommenden Geschäfte be-
sonderen Ausschüssen oder Personen zu übertragen. Diejenigen Geschäfte, für welche nicht in
dieser Weise besondere Verwaltungskommissionen eingesetzt waren, hatte der Oberpräsident der
Provinz zu besorgen.
Ein Recht zur Deckung der Bedürfnisse des Provinzialverbandes und zur Erfüllung
seiner Verbindlichkeiten die Angehörigen desselben mit Auflagen zu belasten oder den Provinzial-
verband mit Schulden zu beschweren, war den Provinzialverbänden nicht beigelegt, während
den Kreistagen ein solches Recht zustand. Die zur Giltigkeit der Beschlüsse des Landtages er-
forderliche königliche Bestätigung erfolgte in der Form eines öffentlich bekannt gemachten
Landtagsabschiedes.
Zu bemerken ist, daß die provinzialständischen Verbände bei einzelnen Provinzen sich
nicht genau mit der Provinz als Verwaltungsbezirk deckten und daß die bereits früher vor-
handen gewesenen, einzelne Theile der verschiedenen Provinzen umfassenden kommunalständischen
Verbände bestehen blieben, sofern nicht ein anderes durch gemeinschaftliche Uebereinkunft be-
schlossen wurde. Es wurde deshalb gestattet, daß für die Angelegenheiten dieser Verbände auf
vorgängige Anzeige beim Landtagskommissarius und mit dessen Bewilligung jährliche besondere
Versammlungen (Kommunallandtage) jedoch mit verhältnißmäßiger Zuziehung von Abgeord-
neten aller Stände gehalten wurden, welchen die einzelnen provinzialständischen Gesetze die
Standschaft beilegten.
Daf die aufaltständischer Grundlage beruhenden Provinzialverfassungen mit dem übrigen
Staatsrechte der preußischen Monarchie, namentlich nach dem Erlasse der Verfassungsurkunde,
nicht mehr im Einklange waren, wurde mehr und mehr eingesehen. Die in der Verfassungs-
urkunde (Art. 105) selbst, sowie durch das G. v. 11/3. 1850 und später während der 1850er
und 1860er Jahre gemachten Versuche, eine Reform der Provinzialverfassung herbeizuführen,
mißlangen jedoch.
Zu den Eingangs erwähnten 8 Provinzen traten im Jahre 1867 3 weitere Provinzen:
1. Schleswig-Holstein, 2. Hannover, 3. Hessen-Nassau, welche aus den im Jahre 1866 neu
erworbenen Ländern und Gebietstheilen gebildet und an deren Spitze ebenfalls Oberpräsidenten
gestellt wurden. Dieselben erhielten gleichfalls provinzialständische Verfassungen. Zuerst wurde
durch königliche V. v. 22/8. 1867 bestimmt, daß das Gebiet des ehemaligen Königreiches Han-
nover einen provinzialständischen Verband zu bilden habe, welcher durch einen aus 3 Ständen
(größere Grundbesitzer, Städte, Landgemeinden) bestehenden Provinziallandtag vertreten wurde.
Demselben wurde namentlich das Recht beigelegt, im Interesse der Provinz Ausgaben und
Leistungen zu übernehmen und die Art und Weise der Aufbringung derselben zu beschließen.
Für die unter Aufsicht des Oberpräsidenten zu führende laufende Verwaltung des stän-
dischen Vermögens und der ständigen Anstalten wurde der Provinziallandtag durch § 19 der
V. v. 22/8. 1867 ermächtigt, die geeigneten Personen zu wählen. Zum Zwecke dieser Ver-
waltung wurde sodann in dem durch A.E. v. 1/11. 1868 genehmigten Regulativ ein „stän-
discher Verwaltungsausschuß“ eingesetzt, bestehend aus dem Landtags-Marschall als Vor-
sitzenden und 12 vom Landtage zu wählenden Mitgliedern. Zur Besorgung der laufenden
Geschäfte wurden 3 vom Provinziallandtage zu wählende besoldete Oberbeamte bestellt, welche
das „Landesdirektorium“ unter dem Vorsitze des vom Könige zu bestätigenden „Landes-
direktors“ bildeten.