24 Erstes Buch: Geschichtliche Einleitung. III. Kapitel. 88.
7/9. 1811 verheißen worden war 1). In der That erging auch die königliche Verordnung
vom 22/5. 1815 (G. S. S. 103) „über die zu bildende Repräsentation des Volkes“, durch
welche zum Zwecke der Bildung einer Volksrepräsentation bestimmt wurde, daß die Provinzial-
stände da, wo sie mit mehr oder minder Wirksamkeit noch vorhanden waren, herzustellen und
dem Bedürfnisse der Zeit gemäß einzurichten, wo aber keine solche Einrichtung bestand, an-
zuordnen seien. Ferner wurde bestimmt, daß aus den Provinzialständen die Versammlung
der Landesrepräsentanten mit dem Sitze in Berlin zu wählen sei und daß die Wirksamkeit der
Landesrepräsentanten sich auf die Berathung über alle Gegenstände erstrecken solle, welche die
persönlichen und Eigenthumsrechte der Staatsbürger mit Einschluß der Besteuerung betreffen.
Gleichzeitig wurde die Niedersetzung einer Kommission unter dem Vorsitze des Staatskanzlers
Hardenberg angeordnet, welche sich mit der Organisation der Provinzialstände, der Organisa-
tion der Landesrepräsentation und der Ausarbeitung der Verfassung nach den aufgestellten
Grundsätzen befassen sollte. Diese Kommission trat auch im Juli 1817 zusammen und war
längere Zeit thätig, erzielte aber ein nennenswerthes Ergebniß nicht.
Bei der Einsetzung des Staatsraths durch Verordnung vom 20/3.1817 wurde sodann
ausgesprochen, daß die Einwirkung der künftigen Landesrepräsentation bei der Gesetzgebung
durch die in Folge der Verordnung vom 22/5. 1815 auszuarbeitende Verfassungsurkunde
näher werde bestimmt werden. Ebenso war noch in der Verordnung vom 17/1. 1820 wegen
der künftigen Behandlung des gesammten Staatsschuldenwesens die Hauptverwaltung der
Staatsschulden für verpflichtet erklärt, „der künftigen reichsständischen Versammlung“ Rech-
nung zu legen. Neue Anlehen sollten in Zukunft nur mit Zuziehung und unter Garantie der
Reichsstände gemacht werden. Inzwischen war aber eine der Erlassung einer Verfassung und
der Schaffung einer Landesrepräsentation feindselige Strömung zum Siege gelangt, von der
Erlassung einer Verfassung wurde abgesehen und es erging das Gesetz vom 5/6. 1823 wegen
Anordnung der Provinzialstände (G. S. S. 129), an dessen Schlusse es hieß: „Wenn eine
Zusammenberufung der allgemeinen Landstände erforderlich sein wird und wie sie dann aus
den Provinzialständen hervorgehen sollen, darüber bleiben die weiteren Bestimmungen Unserer
landesväterlichen Fürsorge vorbehalten."
In Art. III des Gesetzes vom 5/6. 1823 waren die Provinzialstände als das „gesetz-
mäßige Organ der verschiedenen Stände der Unterthanen in jeder Provinz“ erklärt; ihre Kom-
petenz wurde dahin bestimmt, daß ihnen 1. die Gesetzentwürfe, die allein die Provinz angehen,
2. so lange keine allgemeine ständischen Versammlungen stattfinden, auch die Entwürfe solcher
allgemeiner Gesetze, welche Veränderungen in Personen= und Eigenthumsrechten zum Gegen-
stande haben, soweit sie die Provinz betreffen, vorgelegt werden; 3. daß dieselben Bitten und
Beschwerden, die sich auf das spezielle Wohl und Interesse der ganzen Provinz oder eines
Theils derselben beziehen, vorzubringen befugt seien; 4. die Kommunalangelegenheiten der
Provinz ihren Beschlüssen unter Vorbehalt der königl. Genehmigung und Aufsicht überlassen
werden sollen.
Insoweit dieses Gesetz, welches die allgemeinen Grundzüge für die Provinzialstände
mit der ausdrücklichen Hervorhebung enthielt, daß für jede Provinz ein besonderes, Form
und Grenzen ihres ständischen Verbandes bestimmendes Gesetz nachfolgen sollte, auf der An-
schauung beruhte, daß die Reichsstände erst auf der Grundlage einer bereits wirksamen Selbst-
verwaltung der Gemeinden, Kreise und Provinzen aufgerichtet werden könnten, ließ sich gegen
dasselbe nichts einwenden. Bedenklich war aber schon, daß die Zusage bezüglich der „allge-
meinen Landstände“ so unbestimmt und allgemein lautete, noch bedenklicher war, daß jede
1) Eine provisorische Nationalrepräsentation war auch am 23. Februar 1811 in Berlin ver-
sammelt worden. Dieselbe, von den noch vorhandenen Provinzialständen gewählt, trat in starke Oppo-
sition zu den Reformplänen Hardenbergs und wurde im Herbst 1811 wieder entlassen. Ränne, das
Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl. I. S. 15/16.