Sechstes Buch.
Die Landesverwaltung.
I. Kapitel.
Die Sicherheits= und Ordnungspolizei.
§ 89. Allgemeines 1). I. In §51 ist dargelegt worden, daß unter Sicherheitspolizei
im heutigen Sinne des Wortes derjenige Zweig der Polizei zu verstehen ist, der es mit der
Abwehr der der öffentlichen und privaten Rechtsordnung drohenden allgemeinen Gefahren zu
thun hat. Je nachdem es sich um den Schutz der öffentlichen Rechtsordnung, namentlich der
Staatsverfassung oder der privaten Rechtsordnung handelt, unterscheidet man die höhere und
die niedere Sicherheitspolizei, letztere auch Ein zel sicherheitspolizei genannt. Die höhere
Sicherheitspolizei umfaßt die Vereins-, Versammlungs= und Preßpolizei, die Maßregeln
gegen Volksbewegungen, die Verhängung des Belagerungszustandes und ähnliche Anordnungen.
Dagegen gehören zur niederen Sicherheitspolizei die Maßregeln gegen Bettler, Landstreicher,
bestrafte Verbrecher, Fremde u. s. w. Da nun eine genaue Scheidung der hohen und niederen
Sicherheitspolizei nicht möglich ist, weil die verschiedenen Maßregeln, welche zunächst in das eine
Gebiet gehören, auch in dem anderen zu berücksichtigen sind, so ist es zweckmäßiger bei Dar-
stellung der Sicherheitspolizei die ordentlichen sicherheitspolizeilichen Maßregeln und die
außerordentlichen zu scheiden. Die ersteren sind diejenigen, welche auch in ruhigen Zeiten
und unter den gewöhnlichen Verhältnissen zulässig und veranlaßt sind, während die außer-
ordentlichen Maßregeln nur bei dringender Gefahr für die öffentliche Rechtsordnung ergriffen
werden können.
II. Was den Begriff der Ordnungspolizei anlangt, so ist der Sprachgebrauch ein
ziemlich schwankender. Nicht selten wird der Ausdruck im Wesentlichen als mit Sicherheits-
polizei gleichbedeutend gebraucht, wie auch im A.L. R. II, 17, § 10 als Amt der Polizei die
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung bezeichnet wird, ebenso
wird mitunter der Ausdruck Ordnungspolizei in einem sehr weiten, auch die Sittlichkeitspolizei
umfassenden Sinne gebraucht?). Das Zweckmäßigste ist es wohl, die Thätigkeit der Polizei-
behörden in Mieth= und Dienstbotenstreitigkeiten und in Bezug auf Fundsachen als Ordnungs-
polizei zu bezeichnen, da in diesen Fällen die Polizei in an und für sich den Gerichten ange-
hörende Sachen eingreift, um Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung zu verhüten
und Verletzungen der Rechtsordnung hintanzuhalten ).
1) Schulze, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 2. Aufl., II, S. 322 ff. — Bornhak,
Preuß. Staatsrecht, III, S. 119 ff. — Hue de Grais, Handbuch der Verfassung und Verwaltung
u. s. w., 8. Aufl., S. 275 ff. — Grotefend, Preuß. Verw.-Recht, II, S. 849 ff. — Stengel,
Art. Sicherheitspolizei in Stengel's Wörterbuch des deutschen Verw.-Recht, II, S. 452 und die
am Schlusse des Artikels enthaltenen Litteraturangaben. — Förstemann, Prinzipien des preuß. Polizei-
rechts (1869).
2) In diesem Sinne wird z. B. der Ausdruck „Ordnungspolizei“ von Hue de Grais a. a. O.
S. 302 ff. gebraucht.
3) Im Anschlusse an die Sicherheitspolizei wird häufig die Unfallpolizei besprochen (vgl.
Hue de Grais a. a. O. S. 299 ff.). Dieselbe umfaßt die Thätigkeit der Polizei, welche die Ver-