Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

394 Sechstes Buch: Die Landesverwaltung. I. Kapitel. 8 90. 
folgen, nachdem durch Beschluß der Vormundschaftsbehörde die Begehung der Handlung fest- 
gestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt ist. Auf Grund dieses reichsrechtlichen Vor- 
behalts erging das G. v. 13/3. 1878, betreffend die Unterbringung verwahrloster Kinder (G.S. 
S. 132) mit den Novellen v. 27/3. 1881 und 23/6. 1884 (G. S. 1881 S. 275; 1884 S. 300). 
Nach diesen gesetzlichen Bestimmungen ist Zwangserziehung zulässig gegen Personen, 
die nach Vollendung des sechsten und vor Vollendung des zwölften Lebensjahres eine strafbare Hand- 
lung begehen und zwar durch Unterbringung entweder in einer geeigneten Familie oder in einer 
Erziehungs= oder Besserungsanstalt, wenn die Unterbringung mit Rücksicht auf die Beschaffen- 
heit der strafbaren Handlung, auf die Persönlichkeit der Eltern oder sonstigen Erzieher des 
Kindes und auf dessen übrige Lebensverhältnisse zur Verhütung weiterer sittlicher Verwahr- 
losung erforderlich ist 1). Der Beschluß hierüber liegt als Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit 
dem Vormundschaftsgerichte in einem gesetzlich geregelten Verfahren ob; derselbe wird dem 
verpflichteten Kommunalverbande übersendet. Die Provinzialverbände, bezw. die kommunal= 
ständischen Verbände von Kassel und Wiesbaden, der lauenburg'sche und hohenzollern'sche 
Landeskommunalverband, die Stadtkreise Berlin und Frankfurt a. M. haben die Verpflichtung, 
die Unterbringung herbeizuführen und zwar liegt sie demjenigen Kommunalverbande ob, in 
dessen Bezirk das Vormundschaftsgericht seinen Sitz hat, bezw., wenn der Sitz des Vormund- 
schaftsgerichtes außerhalb des Gerichtsbezirkes ist, dem Kommunalverbande in dessen Gebiete 
der Gerichtsbezirk belegen ist und wenn der Gerichtsbezirk zu verschiedenen Kommunalverbänden 
gehört, dem Verbande des Ortes der Beschlußfassung (G. v. 2/3. 1881). Die Unterbringung 
kann nach dem Ermessen der betreffenden kommunalen Organe in geeigneten Familien oder in 
Anstalten erfolgen, jedoch nicht in Anstalten, welche zur Detention der in § 362 R. Str.G.B. 
bezeichneten Personen oder zur Unterbringung von Kranken, Idioten, Landarmen und Gebrech- 
lichen bestimmt sind. Das Recht der Zwangserziehung hört auf: 1. mit dem vollendeten 
18. Lebensjahre des Zöglings (ausnahmsweise kann die Zwangserziehung bis zur Großjährig- 
keit ausgedehnt werden. (§ 10 G. v. 13/3. 1878, bezw. G. v. 23/6. 1884); 2. mit dem Be- 
schlusse der Entlassung aus der Zwangserziehung. Ueber die Entlassung beschließt der ver- 
pflichtete Kommunalverband, sobald die Erreichung des Zweckes der Zwangserziehung anderweit 
sichergestellt oder der Zweck erreicht ist. Wird von den Eltern, bezw. Großeltern, dem Vor- 
munde oder Pfleger die Entlassung aus der Zwangserziehung beantragt, weil der Zweck der 
letzteren anderweit sichergestellt sei, so entscheidet über den Antrag beim Widerspruch des Kom- 
munalverbandes das Vormundschaftsgericht, gegen dessen abweisenden Beschluß innerhalb acht 
Tagen Beschwerde mit aufhebender Wirkung zulässig ist. Die oben genannten Kommunalver= 
bände haben für die Einrichtung öffentlicher Erziehungs= und Besserungsanstalten zu sorgen, 
wenn und insoweit es an Gelegenheit fehlt, durch Abkommen mit geeigneten Familien, Vereinen 
und Privatanstalten oder bestehenden öffentlichen Anstalten die Unterbringung der verwahr- 
losten Kinder zu bewirken. Ebenso haben sie mit gewissen Ausnahmen und Maßgaben die 
Kosten der Zwangserziehung zu tragen (§ 12 a. a. O.). Die zuständigen staatlichen Aufsichts- 
behörden der zur Unterbringung verpflichteten Kommunalverbände und in höherer Instanz der 
Minister des Innern haben die Oberaufsicht über die zur Unterbringung von Zöglingen ge- 
troffenen Veranstaltungen zu führen. Wenn einer dieser Verbände die ihm in dieser Beziehung 
oblicgenden von der Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit festgestellten Leistungen 
zu erfüllen verweigert, so entscheidet das Oberverwaltungsgericht auf Antrag des Oberpräsi- 
denten, in den hohenzollern'schen Landen des Regierungspräsidenten (§8§ 14, 15 a. a. O.)2. 
1) Nach § 16 d. G. v. 13/3. 1878 bleiben die gesetzlichen Bestimmungen, wonach die zwangs- 
weise Unterbringung von Kindern in eine geeignete Familie oder in eine Erziehungs= oder Besserungs- 
anstalt auch ohne die Voraussetzungen einer verübten strafbaren Handlung zugelassen ist, unberührt. 
Vgl. in dieser Beziehung A.L. R. Th. II, Tit. 2, §8 90, 91. 
2) Abgesehen von der Zwangserziehung muß auf Grund des § 56 R. Str. G. B. gegen Ange- 
schuldigte zwischen dem 12. und 18. Lebensjahre die in Ermangelung der zur Erkenntniß der Straf 
 
	        
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