8 91. Die Vereins= und Versammlungspolizei. 395
§ 91. Die Vereins- und Versammlungspolizei 1). I. Nach Art. 416 R.V. ist das
Reich zur gesetzlichen Regelung des Vereinswesens zuständig, ein die gesammte Materie ord-
nendes Reichsgesetz ist bisher aber nicht ergangen, jedoch enthält die Reichsgesetzgebung
verschiedene Bestimmungen, die sich auf die Vereine und Versammlungen beziehen. Abgesehen
von dem Verbote geheimer Vereine (R. Str. G. B. 65 128) und dem Verbote der Theilnahme an
Vereinen, zu deren Zwecken oder Beschäftigungen die ungesetzliche Verhinderung oder Ent-
kräftung von Maßregeln der Verwaltung oder der Vollziehung von Gesetzen gehört (§ 129
a. a. O.), sind hier hauptsächlich folgende reichsgesetzliche Bestimmungen zu erwähnen?:
1. das R.G. v. 4/7. 1872, durch welches aus Gründen der Sicherheitspolizei der Orden der
Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten Orden und Kongregationen vom Gebiete des deut-
schen Reiches ausgeschlossen sind und demgemäß Angehörige derselben im deutschen Reiche keine
Niederlassungen behufs gemeinschaftlichen Lebens nach den Regeln des Ordens oder der Kon-
gregation bilden dürfen; 2. der § 17 des Wahl-G. für den Reichstag v. 31/5. 1869, nach
dessen Inhalt die Wahlberechtigten das Recht haben, unbeschadet der landesgesetzlichen Be-
stimmungen über die Anzeige der Versammlungen und Vereine und der Ueberwachung der-
selben, Zzum Betriebe der den Reichstag betreffenden Wahlangelegenheiten Vereine zu bilden und
in geschlossenen Räumen unbewaffnet öffentliche Versammlungen zu veranstalten; 3. der § 49
des Reichsmilitär-G. v. 2/5. 1874 (R.G. Bl. S. 45), durch welchen die Theilnahme an poli-
tischen Vereinen und Versammlungen den zum aktiven Heere gehörigen Militärpersonen ein-
schließlich der wahlberechtigten Militärbeamten untersagt ist. Im Uebrigen sind im Wesent-
lichen die landesgesetzlichen Vorschriften in Kraft geblieben.
II. Für Preußen kommen vor Allem die Vorschriften der V. U. in Betracht. Nach
Art. 29 sind alle Preußen berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß friedlich
und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln, während Versammlungen unter
freiem Himmel von einer vorgängigen obrigkeitlichen Erlaubniß abhängig gemacht oder ganz
verboten werden können. Nach Art. 30 haben ferner alle Preußen das Recht sich zu solchen
Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen in Gesellschaften zu vereinigen 3).
Die Ausübung des in Art. 29 u. Art. 30 Abs. 1 V. U. eingeräumten Vereins= und
Versammlungsrechts namentlich zur Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit ist in Art. 30
Abs. 1 u. 2 gesetzlicher Regelung anheimgegeben mit der Maßgabe, daß politische Vereine
Beschränkungen und vorübergehenden Verboten im Wege der Gesetzgebung unterworfen werden
können. Auf Grund dieses Vorbehaltes erging die V. v. 11/3. 1850 über die Verhütung
eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs= und
barkeit erforderlichens Einsicht freizusprechen sind, vom Strafrichter bestimmt werden, ob der Angeschuldigte
seiner Familie überwiesen oder in eine Erziehungs= oder Besserungsanstalt gebracht werden soll. In
der Anstalt ist er solange zu behalten, als die der Anstalt vorgesetzte Verwaltungsbehörde dies für er-
forderlich erachtet, jedoch nicht über das 20. Lebensjahr.
1) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., II., S. 184 ff. — Schulze, das
preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., S. 394 ff. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, III, S. 163 ff. — Grote-
fend, Preuß. Verw.-Recht, II, S. 55 ff. — Lisco, Komm, zur Verordnung v. 11/3. 1850, 2. Aufl.,
1881. — Delius, das preuß. Vereins= und Versammlungsrecht, 1891. — Jolly, Art. Vereine
und Versammlungen in Stengel's Wörterbuch des d. Verw.-Rechts, II, S. 666 ff.
2) Nachdem das Sozialistengesetz v. 21110. 1878 mit dem 1. Oktober 1890 seine Geltung ver-
loren hat, sind selbstverständlicher Weise auch dessen auf Vereine und Versammlungen bezüglichen Vor-
schriften mit diesem Tage außer Kraft getreten.
3) Gemäß Art. 39 V. U. finden auf das Heer die in den Art. 29 und 30 enthaltenen Bestimm-
ungen nur insoweit Anwendung, als die militärischen Gesetze und Disciplinarvorschriften nicht entgegen-
stehen; außerdem bestimmt Art. 38 V. U., daß die bewaffnete Macht weder in noch außer dem Dienste
berathschlagen oder sich anders als auf Befehl versammeln darf. Versammlungen und Vereine der
Landwehr zur Berathschlagung militärischer Einrichtungen, Befehle und Anordnungen sind auch dann
wenn dieselbe zusammenberufen ist, untersagt.