402 Sechstes Buch: Die Landesverwaltung. l. Kapitel. 8 93.
weder eine vorläufige zum Zwecke der Beschaffung von Beweismitteln, bezw. der Sicherung
des Vollzuges des ergehenden Strafurtheiles oder eine endgültige zum Zwecke des Vollzuges
des ergangenen Urtheiles. In beiden Fällen kommen neben den Vorschriften der Str. Pr.O.
88 94 ff. die des R. Preß-G. §8§ 27 und 28 zur Anwendung; von diesen Vorschriften bestimmt
§ 27 was-Objekt der Beschlagnahme im einzelnen Falle sein kann, während § 28 den Wieder-
abdruck beschlagnahmter Preßerzeugnisse während der Dauer der Beschlagnahme bei Strafe
verbietet.
Auch die polizeiliche Beschlagnahme kann eine endgültige sein, und die Vollstreckung
eines bereits erlassenen Verbotes einer Druckschrift bezwecken. In diesem Falle kommen einfach
die Vorschriften über den Vollzug von polizeilichen Verfügungen zur Anwendung. Ist aber
die polizeiliche Beschlagnahme nur eine vorläufige, so steht sie unter den einschlägigen Be-
stimmungen des Reichspreßgesetzes. Nach §§ 23 u. 24 kann aber die vorläufige Beschlag-
nahme einer Druckschrift durch die Polizeibehörde, bezw. Staatsanwaltschaft beim Vorhanden-
sein einer strafbaren Handlung nur in gewissen im Gesetze selbst vorgesehenen Fällen vorge-
nommen werden (8§8 6, 7, 14).
Ueber die Bestätigung oder Aufhebung der vorläufigen Beschlagnahme für welche selbst-
verständliche Voraussetzung der Beginn der Verbreitung ist, hat nach näherer Vorschrift der
§§ 24—27 R. Preß-G. das zuständige Gericht zu entscheiden. Die Entscheidung muß von der
Staatsanwaltschaft binnen 24 Stunden nach Anordnung der Beschlagnahme beantragt und
vom Gerichte binnen 24 Stunden nach Empfang des Antrages erlassen werden. Wenn nicht
bis zum Ablaufe des fünften Tages nach Anordnung der Beschlagnahme der bestätigende
Gerichtsbeschluß der Behörde, die die Beschlagnahme angeordnet hat, zugegangen ist, erlischt
die letztere und muß die Freigabe der einzelnen Stücke erfolgen.
§ 93. Außerordentliche sicherheitspolizeiliche Maßregeln 1). I. Bei öffentlichen Zu-
sammenrottungen, Aufläufen und Aufruhr hat die Polizei unverzüglich einzuschreiten
um derartige sicherheitsgefährliche Menschenansammlungen zu beseitigen; nöthigenfalls kann
die Civilbehörde zu ihrer Unterstützung die Militärmacht requiriren. Wird eine auf öffentlichen
Wegen, Straßen oder Plätzen versammelte Menschenmenge vom zuständigen Beamten?) oder
Befehlshaber der bewaffneten Macht dreimal erfolglos aufgefordert, sich zu entfernen, so tritt
Bestrafung nach § 116 R. Str. G.B ein.
Im Zusammenhang mid den sicherheitspolizeilichen Maßregeln gegen Zusammenrottungen
u. s. w. steht auch das G. v. 11/3. 1850, betreffend die Verpflichtung der Gemeinden zum Er-
satz des bei öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens (G. S. S. 199). Dieses Gesetz für
den Umfang der Monarchie zur Zeit seines Erlasses; in den meisten übrigen Gebietstheilen
gelten ähnliche Vorschriften (Rönne a. a. O. IV, S. 192 und Bornhak III, S. 130 ff.).
II. Nach Art. 68 R.V. kann der Kaiser, wenn die öffentliche Sicherheit im Bundesgebiete
bedroht ist, einen Theil desselben, also auch das ganze Reichsgebiet — abgesehen von Bayern
(vgl. Vertrag v. 23/11. 1870, III, §5, VI) — in Kriegszustand erklären. Bis zum Er-
lasse eines die Voraussetzungen, die Form der Verkündigung und die Wirkungen einer solchen
Erklärung regelnden Reichsgesetzes gelten dafür die Vorschriften des preuß. G. v. 4/6. 1851
über den Belagerungszustand (G. S. S. 451 ff.).
Die Befugniß zur Verkündigung des Belagerungszustandes steht nach Maßgabe des
1) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., II, S. 206 ff. — Grotefend,
Preuß. Staatsrecht, II., S. 863 ff. — Schulze, das preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., II, S. 326 ff. —
Bornhak, Preuß. Staatsrecht, III, S. 130. — Seydel, Art. Belagerungszustand in
Stengel's Wörterbuch des d. Verw.-Rechts, I, S. 158 ff.
2) Ueber die Frage, wer als zuständiger Beamte zu betrachten ist, vgl. Rüdorff, Str.G.B.
f. d. deutsche Reich, § 116 Note 3.