408 Sechstes Buch: Die Landesverwaltung. II. Kapitel. § 95.
Die Führung der Standesregister und die darauf bezüglichen Verhandlungen erfolgen
kosten= und stempelfrei. Gegen Zahlung der nach dem dem R.G. v. 6/2. 1875 beigefügten Tarife
zulässigen Gebühren müssen die Standesregister Jedermann zur Einsicht vorgelegt, sowie be-
glaubigte Auszüge aus denselben ertheilt werden. In amtlichem Interesse und bei Unver-
mögen der Betheiligten ist die Einsicht der Register und die Ertheilung der Auszüge gebühren-
frei zu gewähren. Die Gebühren fließen, wie die auf Grund des Gesetzes zu erhenbeden Geld-
strafen (s. u.), den Gemeinden zu, welche die sächlichen Kosten der Standesämter zu tragen
haben (§§ 16 und 70 des G. v. 6/5. 1875 und § 12 Abs. 2 preuß. G. v. 9/3. 1874).
Wer den gesetzlich vorgeschriebenen Anzeigepflichten (§8 17—20, 22—24, 66—58) nicht
nachkommt, wird mit Geldstrafe bis zu 150 M. oder mit Haft bestraft. Die Standesbeamten
sind außerdem befugt, die zu Anzeigen oder sonstigen Handlungen auf Grund des Gesetzes
Verpflichteten durch Geldstrafen (Exekutivstrafen) anzuhalten, die für jeden einzelnen Fall den
Betrag von 15 M. nicht übersteigen dürfen (§ 68 d. G., Min. E. v. 24/10. 1875, M. Bl. f.
d. i. V. S. 268) 7.
III. Die Aufsicht über die Amtsführung der Standesbeamten wird in den Landgemeinden
und Gutsbezirken vom Landrathe als Vorsitzender des Kreisausschusses, in höherer Instanz
vom Regierungspräsidenten und dem Minister des Innern, in den Stadtgemeinden vom Regierungs-
präsidenten, in höherer Instanz vom Oberpräsidenten und dem Minister des Innern, im Stadt-
kreise Berlin vom Oberpräsidenten und in höherer Instanz vom Minister des Innern geführt.
Im Oberlandesgerichtsbezirke Köln (dem Geltungsbereiche des code civil) haben die Ersten
Staatsanwälte die Aufsicht auf die Standesamtsführung. Die Aufsichtsbehörde ist befugt,
gegen den Standesbeamten Warnungen, Verweise und Geldstrafen bis zu 100 M. zu ver-
hängen. Lehnt der Standesbeamte die Vornahme einer Amtshandlung ab, so kann er dazu auf
Antrag der Betheiligten, durch Beschluß der Civilkammer des Landgerichtes, in dessen Bezirk
der Standesbeamte seinen Amtssitz hat, angewiesen werden. Das Verfahren und die Be-
schwerdeführung regelt sich nach den Vorschriften, welche in Sachen der nichtstreitigen Gerichts-
barkeit gelten (§ 11 d. G. v. 6/2. 1875, § 154 Abs. 1 u. 2 Z.G., § 107 Ausf.G. z. G.V.G.,
Min.Bek. v. 1/7. 1879, Just. M. Bl. S. 154) 2)7).
II. Kapitel.
Die Verwaltung in Bezug auf das physische Leben.
1. Abschnitt:
Das Armenwesen).
§ 95. Das Armenrecht, Armenpolizei und Armenpflege. I. Geschichtliche Ent-
wickelung des Armenrechtes. Das allgemeine Landrecht, welches in Th. II, Tit. 19 von
1) Ein Standesbeamter, der unter Außerachtlassung der im Gesetze gegebenen Vorschriften eine
Eheschließung vollzieht, wird mit Geldstrafe bis zu 600 M. bestraft (R.G. v. 6/2. 1875 § 68). — Ein
Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher zu den religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung
schreitet, bevor ihm nachgewiesen, daß die Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen sei, wird mit Geld-
strafe bis zu 300 M. oder mit Gefängniß bis zu 3 Monaten bestraft (8 67 ibic).
2) Für die Landesherren und die Mitglieder der landesherrlichen Familien, sowie der fürstlichen
Familie Hohenzollern erfolgt die Ernennung der Standesbeamten und die Bestimmung über die Art
der Führung und Aufbewahrung der Standesregister nach § 72 Abs. 1 d. G. durch Anordnung des
Landesherrn (vgl. §§ 17 u 17a). — Bezüglich der Grenzpfarreien, deren Bezirk sich ins Ausland
erstreckt, vgl. § 75 d. G.
3) Ueber Namensänderungen, welche staatliche Genehmigung erfordern, vgl. Hue de
Grais, a. a. O., 8. Aufl., S. 265.
4) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., S. 125 ff. u. S. 135 ff. —
Schulze, das preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., I. S. 476. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, III, S. 223 ff.