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gehender Hilfsbedürftigkeit nothwendig geworden ist und die in Frage stehende Person am
Aufenhaltsorte noch keinen Unterstützungswohnsitz erworben hat. Die Abweisung, bezw. Aus-
weisung erfolgt durch die Ortspolizeibehörde, welche ihre Verfügung nöthigenfalls zwangs-
weise vollstrecken kann. Die thatsächliche Ausweisung darf jedoch erst erfolgen, nachdem entweder
die Gemeinde, in welcher der Auszuweisende seinen Unterstützungswohnsitz hat, sich zur An-
nahme bereit erklärt hat, oder eventuell wenigstens eine einstweilen vollstreckbare Entscheidung
über die Unterstützungspflicht vorliegt. Auch soll die Wegweisung vom Aufenthaltsorte nicht
erfolgen, wennssie mit erheblichen Härten oder Nachtheilen für den Ausweisenden verbunden wäre:).
Zu den wichtigsten Maßregeln der Armenpolizei gehören aber die Maßregeln gegen
Bettler, Landstreicher, Müßiggänger und arbeitsscheue Personen. Solche
Personen werden zunächst nach Maßgabe des Art. 361, Nr. 3, 4, 5, 7 und 8 des R. Str. G. B.
mit Haft bestraft. Außerdem sind aber gegen diese Personen gewisse polizeiliche Maßregeln
zulässig, welche, abgesehen von Erwägungen armenpolizeilicher und sittenpolizeilicher Natur,
vor allem auch sicherheitspolizeilichen Charakter haben, weil Bettler, Landstreicher u. s. w.
erfahrungsgemäß der öffentlichen wie privaten Sicherheit leicht gefährlich werden.
Nach § 362 Abs. 2 des R. Str. G.B. kann nämlich gegen Personen, welche auf Grund
des § 361 Nr. 3—8 a. a. O. verurtheilt werden, bei der Verurtheilung zur Haft zugleich er-
kannt werden, daß die verurtheilte Person nach verbüßter Strafe der Landespolizeibehörde
zu überweisen sei. Ist die Verurtheilung wegen Bettels, bezw. Verleitung zum Bettel erfolgt,
so kann die Straffolge nur ausgesprochen werden, wenn Bettel im wiederholten Rückfalle oder
Bettel unter Drohungen oder mit Waffen vorliegt.
Durch die Ueberweisung wird die Landespolizeibehörde berechtigt — nicht verpflichtet —,
die betreffende Person nach verbüßter Strafe entweder bis zu zwei Jahren in ein Arbeitshaus
unterzubringen, bezw. wenn dieselbe Ausländer ist, aus dem Bundesgebiete zu verweisen, oder
zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden. Voraussetzung der Verhängung dieser polizeilichen
Maßregeln ist das Vorhandensein eines die Zulässigkeit derselben aussprechenden rechtskräftigen
Strafurtheiles. Gegen den die Maßregel aussprechenden Beschluß sind im Allgemeinen diejenigen
Rechtsmittel zulässig, welche gegen polizeiliche Verfügungen ergriffen werden können (vol.
auch § 90).
§ 96. Der Unterstützungswohnsitz. I. Die Träger der Armenlast und Unter-
stützungspflicht sind nach dem U. W.G. v. 6/6. 1870 in erster Linie die aus einer oder mehreren
Gemeinden, bezw. Gutsbezirken bestehenden Ortsarmenverbände und subsidiär die Landarmen=
verbände. Unterstützt werden müssen alle Hilfsbedürftigen, d. h. diejenigin Personen, welche
für sich und ihre Angehörigen in Folge von Umständen, deren Abwendung zunächst nicht in ihrer
Macht liegt, nicht zu sorgen im Stande sind. Unterstützt werden sowohl Inländer, wie Aus-
länder, zu welchen auch die Angehörigen von Bayern und Elsaß-Lothringen zu rechnen sind,
da hier das Unterstützungswohnsitzgesetz nicht gilt. Die Unterstützungspflicht ist entweder eine
vorläufige oder endgültige. Die vorläufige Unterstützungspflicht obliegt demjenigen Armenver-
bande, in dessen Bezirk sich der Hilfsbedürftige beim Eintritt der Hilfsbedürftigkeit befand.
Bei der definitiven Unterstützungspflicht ist zu unterscheiden zwischen Ausländern und In-
ländern. In Bezug auf Ausländer obliegt die Unterstützungspflicht demjenigen Bundesstaate,
welchem der Ortsarmenverband angehört, der zur vorläufigen Unterstützung verpflichtet ist.
Die Einzelstaaten sind jedoch befugt, diese Last im Wege der Landesgesetzgebung auf ihre
Armenverbände abzuwälzen. Demgemäß hat § 64 preuß. G. v. 8/3. 1871 bestimmt, daß jeder
Ausländer, so lange ihm der Aufenthalt im Inlande gestattet wird, in Bezug auf die Art und das
1) Ist der Abzuweisende oder Auszuweisende bayerischer Staatsangehöriger oder Angehöriger
von Elsaß-Lothringen, so ist für die Frage der Verpflichtung der Uebernahme seitens des Heimath-
staates, bezw. der Fürsorgepflicht seitens des Aufenthaltstaates noch der Gothaer Vertrag v. 15/7. 1851
mit der Eisenacher Konvention v. 11/7. 1853 maßgebend.