88. Preußen als absolute Monarchie in der Zeit von 1820—1848. 27
Gegenüber der katholischen Kirche war aber dieses System nicht durchführbar, man
konnte zwar die Konsistorien aufheben, aber nicht die Bisthümer. Man kam in Folge dessen
auch der protestantischen Kirche gegenüber wieder zur Unterscheidung der Kirchenhoheit (jus circa
sacra) und der Kirchengewalt (jus in sacra). Mit der Verordnung vom 30/4. 1815 trat ein
Bruch mit dem Territorialsystem ein, indem für jede Provinz unter dem Vorsitze des Ober-
präsidenten ein Konsistorium für Kirchen= und Schulsachen errichtet wurde, dem bezüglich der
Katholiken die Ausübung der jura circa sacra übertragen wurde, während hinsichtlich der
Protestanten ihm daneben auch die jura in sacra zustanden. Die vom Staate einzuschlagende
Kirchenpolitik war im Uebrigen selbstverständlich der katholischen Kirche gegenüber eine ganz
andere als gegenüber der protestantischen Kirche. Nachdem im Jahre 1817 die Union der
beiden protestantischen Kirchen in der Weise erfolgt war, daß dieselben unbeschadet der Glaubens=
unterschiede in Kirchenverfassung und Kirchenverwaltung zur evangelischen Landeskirche ver-
schmolzen wurden, die unter der Leitung und Verwaltung des Landesherrn als summus epis-
copus und seiner Behörden stand, bildete die evangelische Landeskirche im ganzen Staatsgebiete
einen der katholischen Kirche koordinirten Organismus, dessen Selbstständigkeit gegenüber dem
Staate freilich zunächst nicht scharf hervortrat, weil bei dem Fehlen synodaler Einrichtungen
für den ganzen Staat die Gesetzgebung über innerkirchliche Gegenstände einseitig vom König,
wenn auch in seiner Eigenschaft als oberster Landesbischof ausging und vielfach Staatsbehörden
kirchliche Verwaltungsangelegenheiten besorgten. Ein Anfang mit synodalen Einrichtungen
wurde gemacht mit. der Kirchenordnung für die westlichen Provinzen vom 3/3. 1835. (v. Kamptz,
Annalen Bd. 19 S. 104.)
Durch die Erwerbung der Rheinlande war die Zahl der Angehörigen der katholischen
Kirche im preußischen Staate sehr erheblich gewachsen. Hierdurch war die Stellung des Staats
gegenüber der Kirche verändert; daher trat die Staatsregierung mit der Kurie in Unterhand-
lungen über ein Konkordat, namentlich um den in Westdeutschland durch die Territorialver=
änderungen gänzlich zerrütteten kirchlichen Organismus wieder zu ordnen. Auf Grund dieser
Unterhandlungen erging die Bulle De salute animarum vom 16/7. 1821, welcher der König
durch Kab.-O. vom 23/8. 1821 (G. S. S. 113) die staatliche Sanktion ertheilte. Dieselbe
hat die Einrichtung und Begrenzung der Diöcesen, die Dotation und Besetzung der Bisthümer
und Kapitel für Preußen neu geordnet. Dagegen enthält sie keine grundlegenden Bestimmungen
über das Verhältniß zwischen Staat und Kirche. Es blieben daher die diesbezüglichen Be-
stimmungen des Allgemeinen Landrechts Theil II, 11 über die dem Staate zustehende Auf-
sichtsrechte gegenüber der katholischen Kirche in Kraft. Außerdem hatte das Rescript des Mi-
nisters der geistlichen Angelegenheiten vom 31/8. 1818 das placetum regium in ziemlich weitem
Umfange eingeführt, das erst nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV. durch Reseript
vom 1/1. 1841 wieder aufgehoben wurde.
Auf dem Gebiete des Unterrichts= und Schulwesens blieb es im Wesentlichen bei dem
geltenden Rechte, wie es namentlich im allgemeinen Landrechte und den provinziellen Schul-
ordnungen kodificirt war. Der im Jahre 1817 gemachte Versuch, eine allgemeine Schulordunng
zu erlassen, scheiterte hauptsächlich an der Schwierigkeit, das Verhältniß der Kirche zur Schule
zu regeln und die Schullasten richtig zu vertheilen. Auch die Absicht, eine Kodifikation der in
den einzelnen Provinzen geltenden Schulgesetze herbeizuführen, konnte nicht durchgeführt
werden; es kam nur für die Provinz Preußen die Schulordnung für die Elementarschulen vom
11/12. 1845 zu Stande.
Mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV. (1840—61) lebten die Hoffnungen
auf Einführung einer konstitutionellen Verfassung neu auf; allein der König sprach sich gegen
alle derartigen Bestrebungen entschieden aus und wollte nur von einem Ausbau der provinzial-
ständischen Verfassung vom Jahre 1823 wissen, darüber aber nicht hinausgehen. In diesem
Sinne ergingen die Verordnung vom 21/6. 1842 über die Einrichtung der ständischen Aus-