Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

440 Sechstes Buch: Die Landesverwaltung. II. Kapitel. 8 104. 
und den Verkehr mit Heilmitteln, sowie die Einrichtung und Verwaltung der Heilanstalten, in 
Bezug auf die Beaufsichtigung des Heilpersonales und der Heilanstalten, wie auch hinsichtlich 
der Organisation und Verwaltung eines öffentlichen Heildienstes und öffentlicher Heilanstalten. 
Nach Art. 4 Z. 15 R.V. unterliegen der Gesetzgebung und Beaufsichtigung des Reiches 
die Maßregeln der Medizinalpolizei. Das Reich hat von dieser Zuständigkeit durch Erlaß 
verschiedener Gesetze gesundheitspolizeilichen Inhaltes Gebrauch gemacht. Die Verwaltung 
der Gesundheitspolizei ist Sache der Einzelstaaten. Das im Jahre 1876 errichtete, dem 
Reichsamt des Innern untergeordnete Reichsgesundheitsamt hat lediglich begutachtende 
Funktionen. 
II. Die Gesundheitspolizei und Gesundheitspflege. 1. Das Impfwesen y 
ist geregelt durch das R.Impf-G. v. 8/4. 1874 (R.G. Bl. S. 31), das den Impfzwang für das ganze 
Reich eingeführt hat. Nach dessen Bestimmungen müssen geimpft werden: a)jedes Kind vor Ablauf 
des auf sein Geburtsjahr folgenden Kalenderjahres, sofern es nicht nach ärztlichem Zeugnisse die 
natürlichen Blattern überstanden hat; b) jeder Zögling einer öffentlichen Lehranstalt oder einer 
Privatschule (mit Ausnahme der Sonntags= und Abendschüler) innerhalb des Jahres, in welchem 
er das 12. Jahr zurücklegt, sofern er nicht nach ärztlichem Zeugnisse in den letzten fünf Jahren 
die natürlichen Blattern überstanden hat oder mit Erfolg geimpft worden ist; c) ist bei einer 
der sub a und b aufgeführten Impfungen die Impfung nach dem Urtheile des Arztes erfolglos 
geblieben, so muß sie im nächsten, eventuell im dritten Jahre wiederholt werden. Die Pflicht, 
dafür zu sorgen, daß die Impfung vollzogen wird, obliegt den Eltern, Pflegeeltern und Vor- 
mündern. Dieselben sind verpflichtet: 1. die Kinder impfen zu lassen, bezw. wenn die erste 
Impfung erfolglos gewesen ist, dieselben zur Nachimpfung zu stellen; 2. die Kinder in der 
Zeit vom 6. bis zum 8. Tage nach der Impfung dem Impfarzte zur Feststellung des Ergeb- 
nisses der Impfung vorzustellen. 
Ueber das Ergebniß der Impfung stellt der Arzt einen Impfschein aus, in welchem unter 
Angabe der Personalien des Impflinges bescheinigt wird, daß durch die Impfung der gesetzlichen 
Pflicht genügt ist, oder daß sie im nächsten Jahre wiederholt werden muß. Die ärztlichen 
Zeugnisse über gänzliche oder vorläufige Befreiung von der Impfung bescheinigen unter An- 
gabe der Personalien, aus welchem Grunde und wie lange die Impfung unterbleiben darf. 
Das Formular für diese Bescheinigungen bestimmt der Bundesrath. Die erste Ausstellung 
erfolgt gebühren= und kostenfrei. 
Erfüllen die Eltern u. s. w. ihre Pflicht nicht, so sind sie hierzu amtlich aufzufordern und 
im Falle des Ungehorsams strafbar; dagegen erscheint eine zwangsweise Impfung der Kinder 
gegen den Willen der Eltern nicht zulässig, da das Reichsimpfgesetz dieselbe nicht für zulässig 
erklärt hat. Die Vorsteher derjenigen Schulanstalten, deren Zöglinge der Impfpflicht unter- 
liegen, haben sich bei der Aufnahme von Schülern den Nachweis liefern zu lassen, daß die ge- 
setzlich vorgeschriebene Impfung erfolgt ist, und außerdem Sorge dafür zu tragen, daß Zög- 
linge, welche während des Besuches der Anstalt der Revaccination unterworfen sind, dieser 
Verpflichtung nachkommen. 
Die Organisation des Impfwesens. Zur Vornahme von Impfungen sind 
ausschließlich approbirte Aerzte und die angestellten Impfärzte, zu welchem Amte nur appro- 
birte Aerzte bestellt werden können, befugt. In jedem Bundesstaate sollen Impfbezirke gebildet 
werden, deren jeder einem Impfarzte unterstellt ist. Nach dem preuß. Ausf.G. v. 12/4. 1875 
(G. S. S. 191, dazu Restkripte v. 19/4. 1875 und 8/7.1875, M.Bl. d. i. V. S. 99 u. 181) 
haben die Kreise, in den hohenzollern'schen Landen die Amtsverbände die Impfbezirke zu bilden, 
die Impfärzte anzustellen und zu besolden und alle durch die Ausführung des Reichsimpf- 
gesetzes entstehenden Kosten mit Ausnahme der für Herstellung und Unterhaltung der Impf- 
  
1) Jolly, Art. Impfpflicht in Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts, I. S. 670 ff.
	        
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