Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

8107. Die Volkswirthschaftspolizei und die Volkswirthschaftspflege. 447 
Medizinalverwaltung zu erleichtern. Auch soll sie auf Erfordern des Ministers in allen ein- 
zelnen Fällen Gutachten erstat ten, wo es zur Verwaltung des Medizinalwesens oder in Krimi- 
nalfällen verlangt wird, und in an deren Justiz= und Polizeiangelegenheiten, wo es auf medi- 
zinische kunstfertige und wissenschaftliche Prüfung ankommt. 2. Durch § 20 V. v. 30/4. 1815 
wurde bestimmt, daß für die „Medizinalpolizei“, d. h. für das Medizinal= und Sanitätswesen 
im Hauptorte jeder Provinz ein Medizinalkollegium unter Leitung des Oberpräsidenten be- 
stehen solle. Die weitere Ausführung dieser Vorschrift erfolgte durch die Dienstanweisung v. 
23/10. 1817 und die Kab.O. v. 31/12. 1825. Diese Bestimmungen sind auch auf die neuen 
Provinzen und auf Lauenburg übertragen worden. Darnach hat jede Provinz ein Medizinal- 
kollegium unter dem Vorsitze des Oberpräsidenten. Nur Brandenburg und Preußen haben 
ein gemeinschaftliches Medizinalkollegium zu Berlin und dasjenige der Rheinprovinz ist auch 
für die hohenzollern'schen Lande zuständig. Die Medizinalkollegien haben keinerlei eigene 
Verwaltung, sie sind nur technisch berathende Organe der Gerichts= und Verwaltungsbehörden. 
3. In der Bezirksinstanz sollte nach der V. v. 20/4. 1815 für jeden Regierungsbezirk, in dem 
sich kein Medizinalkollegium befindet, eine besondere Sanitätskommission gebildet werden. Die- 
selben wurden jedoch durch Kab. O. v. 31/12. 1825 wieder aufgehoben, dagegen erhielten die 
Regierungen technische Räthe. 4. Im Kreise wird die Gesundheitspolizei gehandhabt vom 
Landrathe, in Stadtkreisen vom Chef der städtischen Polizeiverwaltung. Als technische Bei- 
räthe sind denselben zugetheilt ein Kreis-, bezw. Stadtphysikus und ein Kreis-, bezw. Stadt- 
wundarzt. 
III. Kapitel. 
Die Verwaltung in Bezug auf das wirthschaftliche Leben. 
1. Abschnitt: 
Allgemeiner Theil. 
§ 107. Die Volkswirthschaftspolizei und die Volkswirthschaftspflege 1). I. Das 
wirthschaftliche Leben, wie es sich im Laufe von Jahrhunderten entwickelt hat, beruht auf der 
Einrichtung des Privateigenthums und der Erwerbsthätigkeit der Einzelnen. In Folge dessen 
überläßt der Staat grundsätzlich die Produktion und die Vertheilung der Güter der Thätigkeit 
der Einzelnen im Gegensatze zu den Forderungen des Sozialismus, der das Privatkapital und 
die Privatwirthschaft durch gemeinwirthschaftlichen Betrieb auf Grund eines mehr oder minder 
weitgehenden Gemeineigenthums an allen Produktivmitteln ersetzen will. Trotzdem greift auch 
jetzt der Staat vielfach in das wirthschaftliche Leben ein, indem er solche Einrichtungen und 
Anstalten im Interesse des wirthschaftlichen Lebens schafft, die die Einzelnen sich nicht selbst 
zu schaffen im Stande sind (Verkehrsanstalten, Münze, Maß, Gewicht u. s. w.), indem er 
ferner die Gefahren abwehrt, die der Entwickelung des wirthschaftlichen Lebens drohen und 
indem er insbesondere auch dafür zu sorgen bestrebt ist, daß die wirthschaftliche Entwickelung 
keine einseitige Richtung einschlägt, namentlich in der Weise, daß der eine Produktionszweig 
auf Kosten anderer aufblüht oder eine Ausbeutung der sogen. arbeitenden Klassen durch die 
kapitalkräftigeren eintritt. 
Wie auf anderen Verwaltungsgebieten ist auch hier die Thätigkeit des Staates eine 
polizeiliche oder eine pflegliche — Volkswirthschaftspolizei und Volkswirthschaftspflege 
— ohne daß selbstverständlich eine scharfe Scheidung dieser beiden Thätigkeitsrichtungen möglich 
1) Loening, Lehrbuch des Verw.-Rechts § 79 ff. — G. Meyer, Lehrbuch des Verw.--Rechts, 
2. Aufl., §8 98 ff. — Stengel, Lehrbuch des Verw.-Rechts, S. 346 ff. — Stein, Handb. der 
Verw.-Lehre, 3. Aufl., II. Bd., S. 217 ff. und III. Bd. — Hue de Grais, Handb. der Verfassung 
und Verwaltung, 8. Aufl., S. 377 ff. 
 
	        
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