89. Preußen als konstitutioneller Staat bis 1866. 31
hand gab. Diese konservativ-bureaukratische Richtung machte sich vor Allem auf dem Boden
der Kommunalgesetzgebung geltend.
Die Durchführung der allerdings durchaus verfehlten, die tiefgehenden Verschieden-
heiten zwischen den einzelnen Provinzen nicht berücksichtigenden, den Unterschied zwischen
Stadt= und Landgemeinden nicht beachtenden und das Oberaufsichtsrecht des Staates in
höchst bedenklicher Weise abschwächenden Gemeindeordnung vom 11/3. 1850 und der ebenso
gearteten Kreis-, Bezirks= und Provinzialordnung vom 11/3. 1850 wurde durch königlichen
Erlaß vom 19/6. 1852 sistirt). Hierauf ergingen am 24/5. 1853 zwei Gesetze (G. S. S. 228
und 238), deren erstes den die verfassungsmäßige Grundlage des Gemeinderechts bildenden
Art. 105 der V. U. beseitigte und an dessen Stelle lediglich die Bestimmung setzte, daß die
Vertretung der Gemeinden, Kreise und Provinzen durch besondere Gesetze näher geregelt
werde. Das zweite Gesetz vom 24/5. 1853 ordnete unter Aufhebung der Gemeindeordnung
vom 11/3. 1850 an, daß die früheren Gemeinde-Verfassungs-Gesetze wieder in Kraft zu
treten haben, soweit sie nicht mit der Verfassungs-Urkunde in Widerspruch wären, sowie daß
die Gemeindeverfassung durch besondere Gesetze für die einzelnen Provinzen geregelt werden
solle. Im Zusammenhange mit dieser Reaktivirung des alten Gemeinderechts stand das Ge-
setz vom 14/4. 1856 (G.S. S. 354), welches auch die durch § 42 der Verfassungs-Urkunde
aufgehobene gutsherrliche Polizei wieder herstellte, während allerdings die patrimoniale Ge-
richtsbarkeit beseitigt blieb.
Man ging nun daran, die Gemeindeverhältnisse neu zu regeln; es gelang auch, neue
Städteordnungen für sämmtliche Provinzen und Landgemeindeordnungen für Westfalen und
die Rheinprovinz zu erlassen, während für die östlichen Provinzen nur das Gesetz vom 14/4.
1856,. betr. die Landgemeindeverfassungen in den östlichen Provinzen (G. S. S. 359) zu
Stande kam, das lediglich eine Novelle zum geltenden Gemeinderechte war, wie es nament-
lich im A. L. R. Th. II Tit. 7 kodifizirt ist.
Die politischen Ereignisse der 60er Jahre, namentlich der Militärkonflikt ließen die
Reformarbeit auf dem Gebiete der inneren Verwaltung zurücktreten. Erst i. J. 1866 wurde
dieselbe wieder aufgenommen. (Vgl. § 10.)
Fruchtbarer war die gesetzgeberische Thätigkeit in der ersten Zeit nach Erlaß der Ver-
fassungs-Urkunde auf dem Gebiete der Rechtspflege). Schon die Verfassungs-Urkunde
vom 5/12. 1848 hatte bezüglich der Gerichtsverfassung gewisse, später in die Verfassungs-
Urkunde vom 31/1. 1850 übergegangene Grundsätze aufgestellt: Aufhebung der Privat-
gerichtsbarkeit, Ausübung der richterlichen Gewalt im Namen des Königs durch unabhängige
Gerichte, Aufhebung des eximirten Gerichtsstandes und der Ausnahmsgerichte, Oeffentlichkeit
der Gerichtsverhandlungen, Einführung der Geschwornengerichte, endlich Schaffung eines
einzigen obersten Gerichtshofs für die ganze Monarchie. Anfänglich bestand die Absicht, die
im Appellhof--Bezirke Köln bestehende französische Gerichtsverfassung auf die übrigen Provinzen
auszudehnen. Da sich jedoch der Durchführung dieser Absicht zu große, namentlich auch in
der Verschiedenheit des materiellen Rechts liegende Schwierigkeiten entgegenstellten, wurde
vorgezogen, die Justizeinrichtungen im Appellationsgerichtsbezirke Köln bestehen zu lassen
und die Reform auf die übrigen Provinzen zu beschränken, indem man sich bei der neuen
Organisation möglichst an die schon bestehenden Gerichtseinrichtungen anschloß und nur die-
jenigen Veränderungen annahm, die durch die neuen zur Geltung gelangten Grundsätze ge-
boten waren. In diesem Sinne ergingen 1. die Verordnung vom 2/1. 1849 über die Auf-
hebung der Privatgerichtsbarkeit und des eximirten Gerichtsstandes, sowie über die ander-
weitige Organisation der Gerichte (G.S. S. 1 ff.); 2. die Verordnung vom 3/1. 1849 über
1) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 3. Aufl. III. Bd., 1. Abth. S. 284 f. —
Bornhak, Geschichte des preuß. Verw.-Rechts, Bd. III, S. 225 ff.