Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

32 Erstes Buch: Geschichtliche Einleitung. III. Kapitel. 89. 
die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Unter— 
suchungssachen (G. S. S. 14 ff.). Beide Verordnungen, welche später in mancher Beziehung 
abgeändert und durch Gesetz vom 30/4. 1851 (G. S. S. 188) auch in den Hohenzollern'schen 
Landen eingeführt wurden, bildeten bis zur Einführung der Reichsjustizgesetze in dem bis zum 
1866 zur Monarchie gehörigen Gebietstheilen (mit Ausnahme des Appellhof-Sprengels Köln 
und des Jadegebietes) die Grundlage der Gerichtsverfassung. 
Inzwischen war Friedrich Wilhelm durch schwere Erkrankung veranlaßt worden, seinen 
Bruder, den Prinzen Wilhelm am 23/10. 1857 auf drei Monate zum Regierungsstellver- 
treter zu ernennen. Der Auftrag wurde noch dreimal (6/1., 9/4. und 25/6. 1858) wieder- 
holt. Als sich jedoch das Leiden als unheilbar erwies und die Regierungsunfähigkeit des 
Königs nicht mehr zu bezweifeln war, ergriff Prinz Wilhelm auf Grund des Art. 56 der 
Verfassungs-Urkunde als nächster Agnat die Initiative zur Uebernahme der Regentschaft 
(Erlaß vom 9/10. 1858) und berief die Häuser des Landtags, welche die Nothwendigkeit der 
Einsetzung der Regentschaft anerkannten, worauf Prinz Wilhelm die Regentschaft übernahm 
und den im Art. 58 der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Eid leistete. 
Mit der Uebernahme der Regierungsgeschäfte durch Prinz Wilhelm als Regenten trat 
eine Aenderung in der Regierungspolitik ein, die namentlich darin sich zeigte, daß sie zielbewußt 
nach Innen und Außen auftrat. Zunächst erfolgte die Bildung eines neuen Ministeriums 
unter dem Fürsten Hohenzollern-Sigmaringen, das als das Ministerium „der neuen Aera“ 
in weiten Kreisen mit Freuden begrüßt wurde. Von den wichtigeren Maßregeln, welche unter 
diesem Ministerium zu Stande kamen, ist zu erwähnen die Durchführung der seit dem Jahre 
1810 verzögerten Grundsteuerreform, die durch drei zusammenhängende Gesetze vom 21/5. 
1861 erfolgte. 6 
Am 2. Januar 1861 starb Friedrich Wilhelm IV. und der Prinzregent bestieg als 
Wilhelm I. (1861—1888) den Thron. Schon während seiner Regentschaft waren Zwistig- 
keiten mit dem Abgeordnetenhause entstanden über die Armeereorganisation, die aus Anlaß 
der durch den italienischen Krieg von 1859 nothwendig gewordenen Mobilmachung vorge- 
nommen worden war. Bald nach seiner Thronbesteigung spitzten sich diese Zwistigkeiten zu 
dem Verfassungskonflikte zwischen der Regierung (Ministerpräsident v. Bismarck) und dem 
Abgeordnetenhause zu, während das Herrenhaus in diesem Konflikte auf die Seite der Regie- 
rung trat. Die Veranlassung des Konflikts bestand darin, daß die Regierung bei Gelegenheit 
der Mobilmachung im Jahre 1859 eine Erhöhung der Präsenzstärke und der Kadres des 
Heeres, sowie eine anderweitige Regelung der Reserve= und Landwehrdienstpflicht vorgenommen 
hatte. Die Regierung, welche sich für befugt erachtete, die Organisation der Armee und die 
Wehrpflicht durch Verordnung zu regeln, betrachtete diese Einrichtung als dauernde, das Ab- 
geordnetenhaus dagegen, welches diese Fragen durch Gesetz geregelt haben wollte, nur als 
vorübergehende, bewilligte daher die Kosten nur als vorübergehende und verweigerte schließ- 
lich die Bewilligung des gesammten Etats, so daß die Regierung genöthigt war, mehrere 
Jahre hindurch ohne gesetzlich festgestelltes Budget zu regieren. 
Die Beilegung des Konfliktes erfolgte erst nach Beendigung des Krieges. Die Thron- 
rede vom 5/8. 1866 erkannte an, daß die Staatsausgaben der letzten Zeit der gesetzlichen 
Grundlage des Art. 99 der Verfassungs-Urkunde entbehrten, und sprach die Erwartung aus, 
die Landesvertretung werde die Indemnität, um die sie angegangen werden solle, ertheilen. 
Die Indemnität wurde auch von beiden Häusern des Landtags ertheilt, indem durch überein- 
stimmenden Beschluß ausgesprochen wurde, „der Staatsregierung wird in Bezug auf die seit 
dem Beginn des Jahres 1862 ohne gesetzlich festgestellten Staatshaushalt geführte Ver- 
waltung Indemnität ertheilt, dergestalt, daß es rücksichtlich der Verantwortlichkeit der Staats- 
regierung so gehalten werden soll, wie wenn die Verwaltung in der erwähnten Zeit auf Grund 
gesetzlich festgestellten und rechtzeitig publizirten Staatshaushaltsetats geführt worden wäre."“
	        
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