36 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. I. Kapitel. 8 11.
Monarchen und den damit übereinstimmenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Allge—
meinen Landsrechts, das namentlich in Theil II Titel 13 § 1 bestimmt: „Alle Rechte und
Pflichten des Staats gegen seine Bürger und Schutzverwandten vereinigen sich in dem Ober-
haupte desselben 1).“
In der Ausübung der Fülle der Staatsgewalt ist nun der König durch die Verfassungs-
urkunde vom 5/12. 1848 bezw. die an ihre Stelle getretene, aber lediglich eine Umarbeitung
derselben darstellende Verfassungsurkunde vom 31/1.1850 beschränkt worden. Wie weit diese
Beschränkung geht, ist zunächst aus den Bestimmungen der Verfassungsurkunde selbst zu ent-
nehmen. Da jedoch diese Bestimmungen weder in jeder Hinsicht vollständig noch immer voll-
kommen klar sind, ist bei der Auslegung der einzelnen Bestimmungen der Verf.-Urkunde, wie der
Auffassung der ganzen Verf.-Urkunde davon auszugehen, daß durch dieselbe dem König von
Preußen nicht erst die Staatsgewalt übertragen, sondern nur die ihm schon zustehende Gewalt
beschränkt wurde. Mit Rücksicht darauf, sowie im Hinblick auf die Absicht, in welcher die Ver-
fassungsurkunde vom 5/12. 1848 gegeben, von der Kammer revidirt und vom Könige als Ver-
fassungsurkunde vom 31/1. 1850 verkündigt und beschworen wurde, muß daher bei Auslegung
der Verfassungsurkunde vom 31/1. 1850 und ihren einzelnen Bestimmungen von dem Grund-
satze ausgegangen werden: dem König von Preußen steht die gesammte Staatsge-
walt zu eigenem Rechte und allein zu; er ist in deren Ausübung nur soweit be-
schränkt, als sich eine solche Beschränkung aus der Verfassungsurkunde oder
späteren Gesetzen ergiebt.
III. Da der König die gesammte Fülle der Staatsgewalt in sich vereinigt, eine Aufzählung
aller einzelnen im Begriffe der Staatsgewalt liegenden Befugnisse aber unthunlich ist, so muß hin-
sichtlich des Umfangs der dem Könige zustehenden Regierungsrechte im Allgemeinen auf die
nachfolgende Darstellung verwiesen werden. Hier ist nur noch darauf aufmerksam zu machen, daß
gewöhnlich die Staatsgewalt in drei Bestandtheile zerlegt wird: die gesetzgebende Gewalt, die voll-
ziehende Gewalt und die richterliche Gewalt und daß hinsichtlich dieser drei sog. Gewalten die
Stellung des Königs grundsätzlich die gleiche ist. Wenn es nämlich in Art. 45 Verf.-Urkunde
heißt: „Dem Könige allein steht die vollziehende Gewalt zu“, dagegen in Art. 62: „die ge-
setzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und durch zwei Kammern aus-
geübt“ und in Art. 86: „die richterliche Gewalt wird im Namen des Königs durch un-
abhängige.. Gerichte ausgeübt“, so ist damit nicht gesagt, daß die Kammern Mitinhaber
der gesetzgebenden Gewalt und die Gerichte Inhaber der richterlichen Gewalt seien 2), sondern
1) Aus der geschichtlichen Entwickelung des preußischen Staats und des preußischen Staatsrechts
überhaupt und der Entstehung der Verfassungs-Urkunde insbesondere ergeben sich namentlich auch noch
zwei Folgerungen a) daß dem König von Preußen nicht erst durch die Verfassungs-Urkunde die Staats-
gewalt übertragen wurde, wie dies z. B. in Belgien der Fall war, sondern daß durch die Verfassung
lediglich eine Beschränkung des Königs in der Ausübung der ihm bereits zustehenden Staatsgewalt
eintrat, b) daß die Beschränkung des Königs nur soweit geht, als sich das aus dem Verfassungsrechte
ergiebt, so daß ihm alle Befugnisse unbeschränkt zustehen, bezüglich deren er nicht an gesetzliche Schran-
ken gebunden ist. Vgl. Arndt a. a. O. S. 18 (auch oben im Texte).
2) Ob nicht nach dem Staatsrechte einzelner außerdeutscher Monarchien anzunehmen ist, daß die
gesetzgebende Gewalt dem Monarchen und der Volksvertretung gemeinschaftlich zusteht, ist hier nicht
weiter zu untersuchen; jedenfalls entspricht eine derartige Annahme der Auffassung des deutschen Staats-
rechts nicht, wie dieselbe auch in Art. 57 der Wiener Schlußakte zum Ausdruck gelangt ist. Im
Uebrigen handelt es sich im Wesentlichen um eine Frage der theoretischen Konstruktion, während
praktisch der Schwerpunkt darauf liegt, daß der Monarch jedenfalls in der Ausübung der ihm allein
zustehenden gesetzgebenden Gewalt durch die Volksvertretung beschränkt erscheint. — Selbstverständlich
folgt aus dem Satze, daß dem König alle Rechte der Staatsgewalt zustehen, keineswegs, daß das Recht
der Volksvertretung zur Mitwirkung am Zustandekommen der Gesetze u. s. w. vom Könige abgeleitet
sei; vielmehr sind diese Befugnisse unmittelbar auf der Verfassung selbst beruhende. Vgl. Hänel,
Deutsches Staatsrecht, I, S. 93, Note 5.