512 Sechstes Buch: Die Landesverwaltung. III. Kapitel. § 123.
waltungsbehörde, welche die Auflösung in gewissen im Gesetze vorgesehenen Fällen anordnen
kann. Nach § 123 Z.G. entscheidet auf Klage der Aufsichtsbehörde der Bezirksausschuß.
Hinsichtlich der Verfügung über das Vermögen einer aufgelösten Innung enthält 8 1040
R. Gew.O. Vorschriften namentlich dahin, daß der Rest des Vermögens nach Tilgung der
Schulden u. s. w. der Gemeinde zufällt. Entstehen Streitigkeiten zwischen der Gemeinde und
der sich auflösenden Innung, so entscheidet nach § 125 Z.G. der Bezirksausschuß im Ver-
waltungsstreitverfahren.
Die staatliche Aufsicht über Innungen, deren Bezirk sich nur auf eine Stadt erstreckt,
wird durch die Gemeindebehörde geführt. Die Aufsichtsbehörde der übrigen Innungen wird
durch die höhere Verwaltungsbehörde (den Regierungspräsidenten) und wenn sie sich über die
Bezirke mehrerer höherer Verwaltungsbehörden erstreckt, durch die Centralbehörde des Bundes-
staates bestimmt. Die Befugnisse der Aufsichtsbehörde sind gesetzlich geregelt. Nach § 125 Z.G.
kann von den Betroffenen Klage gegen die Aufsichtsbehörde beim Bezirksausschusse erhoben
werden.
Alle oder mehrere derselben Aufsichtsbehörde unterstehende Innungen können zur Ver-
tretung ihrer gemeinsamen Interessen einen Innungsausschuß bestellen und ihm Rechte und
Pflichten der einzelnen Innungen, sofern dieselben nicht vermögensrechtlicher Natur sind, über-
tragen (R.Gew.O. 8 102).
Mehrere Innungen, die nicht derselben Aufsichtsbehörde unterstehen, können zur gemein-
samen Verfolgung ihrer Aufgaben zur Pflege gewerblicher Interessen einen Innungsverband
bilden, dem durch Beschluß des Bundesrathes die Rechte einer juristischen Person beigelegt
werden können.
E. Ortsstatuten. Nach 8§ 142 R.GGew.O. können Ortsstatuten die ihnen durch
das Gesetz überwiesenen gewerblichen Gegenstände mit verbindlicher Kraft ordnen. Die-
selben werden nach Anhörung betheiligter Gewerbetreibenden auf Grund eines Gemeinde-
beschlusses abgefaßt und bedürfen der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Orts-
statuten, welche mit den Gesetzen in Widerspruch stehen, können von der Centralbehörde außer
Kraft gesetzt werden. Gemäß § 122 Z.G. beschließt der Bezirksausschuß über die Genehmigung
von Ortsstatuten betreffend gewerbliche Angelegenheiten (§ 142 R.Gew.O. und § 57 Nr. 2
V. v. 9(2 1845). Für den Stadtkreis Berlin tritt nach § 43 Abs. 3 L.V.G. an die Stelle
des Bezirksausschusses der Oberpräsident, gegen dessen Beschluß die Beschwerde an den Minister
für Handel und Gewerbe stattfindet.
§ 123. Der Staat und die arbeitenden Klassen 1). I. Mit dem Ausdruck „arbeitende
Klassen“ bezeichnet man diejenigen Personen, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich aus dem
Einkommen bestreiten, das sie als Lohn aus der Vermiethung ihrer körperlichen Arbeitskraft
beziehen. Zu diesen Personen gehören neben dem Gesinde (vgl. § 94) und den Bergarbeitern
(vgl. § 121) das sog. gewerbliche Hilfspersonal, Fabrikarbeiter, Gesellen, Gehilfen u. s. w.
Das Rechtsverhältniß zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeiter wird von der Gesetzgebung
grundsätzlich als ein privatrechtliches, auf freier Uebereinkunft beruhendes betrachtet (R.Gew.O.
§ 105), es bestehen aber eine Reihe gesetzlicher Vorschriften, welche die wirthschaftliche Aus-
beutung der Arbeitskraft verhüten sollen und den Schutz der Arbeiter, namentlich der Fabrik-
arbeiter gegen Gefahren bezwecken, die ihrem Leben, ihrer Gesundheit und ihrer Moralität aus
dem Betriebe gewisser gewerblicher Unternehmungen oder der Art dieses Betriebes drohen, —
die sog. Arbeiterschutzgesetzgebung, die hier zu besprechen ist, während die die Förderung
1) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., IV., S. 499 ff. (für das ältere
Recht). — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, Bd. III, S. 379 ff. — Grotefend, Preuß. Staatsrecht,
II, S. 807 ff. — Hue de Grais, Handbuch der Verfassung und Verwaltung, 8. Aufl., S. 448 ff. —
Zeller, Art. Arbeiterschutzgesetzgebung in Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts, I. Erg.-Bd.,
S. 1 ff., II. Erg.-Bd. S. 21 ff.