§ 123. Der Staat und die arbeitenden Klassen. 515
zu verbleiben, bis durch gerichtliches Urtheil das Verhältniß für aufgehoben erklärt worden
ist. Nach Beendigung des Lehrverhältnisses ist der Lehrherr verpflichtet, dem Lehrling über
das Gewerbe, die Dauer der Lehrzeit u. s. w. ein Zeugniß auszustellen, das durch einen von
der Innung ausgefertigten Lehrbrief ersetzt werden kann (§§ 126 ff. u. 148).
E. Vorschriften in Bezug auf Arbeiterinnen. Früher beschränkten sich die
Schutzvorschriften zu Gunsten der Arbeiterinnen auf das Verbot der Beschäftigung von
Wöchnerinnen vor Ablauf von drei Wochen nach der Entbindung und auf das Verbot der Be-
schäftigung von Arbeiterinnen heim Bergbaue unter Tage. Außerdem konnte der Bundesrath
aus gesundheitlichen und sittlichen Gründen für gewisse Betriebszweige die Verwendung von
Arbeiterinnen verbieten oder einschränken. Nach § 137 der Nov. v. 1/6, 1891 ist die Zeit
und die Dauer der Beschäftigung von Arbeiterinnen genau geregelt (Festsetzung eines Maxi-
malarbeitstages von 11 Stunden für Arbeiterinnen über 16 Jahren u. s. w.). Die Schutz-
zeit für die Wöchnerinnen beträgt jetzt vier Wochen, während der folgenden zwei Wochen ist
die Beschäftigung nur auf Grund ärztlichen Attestes gestattet (vgl. auch 88 138 a und 139).
Sollen Arbeiterinnen oder jugendliche Arbeiter in Fabriken beschäftigt werden, so hat der
Arbeitgeber vor dem Beginn der Beschäftigung der Ortspolizeibehörde schriftliche Anzeige zu
machen).
III. Wie die Reichsgewerbeordnung durch die im Vorstehenden erwähnten Vorschriften
den Arbeitern Schutz zu gewähren versucht hat, hat sie auch durch Aufhebung aller Verbote
und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen und Fabrik-
arbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn-
und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der
Arbeiter (§ 152, vgl. auch § 153) Koalitionsfreiheit für die Arbeiter geschaffen. Andererseits
enthält sie aber, um die Arbeitgeber gegen widerrechtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses
und Kontraktbruch seitens der Arbeiter zu sichern, in § 119 a und §§ 124 b, 125 Vorschriften
über Lohneinbehaltungen zur Sicherung der Entschädigungsansprüche aus der widerrecht-
lichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses und über die Entschädigung im Falle des Arbeits-
kontraktsbruches.
IV. Nach § 139b der R.Gew.O. ist die Aufsicht über die Ausführung der Bestimmungen
der §§ 105 a, 105 b Abs. 1, 105e bis h, 120 a bis 120e, 134 bis 139 a ausschließlich oder neben
den ordentlichen Polizeibehörden besonderen von den Landesregierungen zu ernennenden Beamten
(Fabrikinspektoren Gewerberäthen) 2) zu übertragen, denen bei Ausübung dieser Aufsicht alle
amtlichen Befugnisse der Ortspolizeibehörden, insbesondere das Recht der jederzeitigen Revi-
sion der Anlagen zusteht und welche Jahresberichte über ihre amtliche Thätigkeit zu erstatten
haben. Diese Beamten sind Landesbeamte, denen Reichsfunktionen übertragen sind; es finden
deshalb auch auf sie nicht die Reichsbeamtengesetze, sondern die landesgesetzlichen Vorschriften
Anwendung. In Preußen führen sie den Titel „Gewerberath“ und haben Rang vor den
Assessoren (A.E. v. 14/5. 1879, G. S. S. 353, Dienstanweisung v. 24/5. 1879, M. Bl. f.
d. i. V. S. 152 u. A.E. v. 27/4. 1891, G. S. S. 165).
V. Die Gewerbegerichtes). Schon in § 120 a Abs. 1 R.Gew.O. (in der Fassung
1) Besondere landesgesetzliche Vorschriften bestehen in Preußen hinsichtlich der beim Bau von
Eisenbahnen beschäftigten Arbeiter nach dem G. v. 21/12. 1846 (G.S. S. 21, Cirk.-R. v. 7/5. 1847,
M. Bl. d. i. V. 1847, S. 109), ausgedehnt durch V. v. 19/8. 1867 (G. S. S. 1426) auf die neuen
Provinzen und durch G. v. 25/2. 1878 (G.S. S. 97, 126) auf Lauenburg, nicht aber auf die hohen-
zollern'schen Lande (vgl. dazu § 144 Z. G.).
2) Zeller, Art. Fabrikaufsichtsbeamte in Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts, I,
S. 372 f.
3) Zeller, Art. Gewerbegerichte in Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts, I. Erg.-Bd.,
S. 44 ff.
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