Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

5 134. Staat und Kirche im Allgemeinen. 545 
Geduldete Kirchengesellschaften sind solche, die der Staat genehmigt, denen er aber 
die Rechte öffentlich aufgenommener Kirchengesellschaften nicht beigelegt hat. Den geduldeten 
Kirchengesellschaften ist die freie Ausübung ihres Privatgottesdienstes gestattet; sie können ins- 
besondere gottesdienstliche Zusammenkünfte in gewissen dazu bestimmten Gebäuden anstellen, 
und die ihren Religionsgrundsätzen gemäßen Gebräuche, sowohl in diesen Zusammenkünften, 
als in den Privatwohnungen der Mitglieder ausüben. Das Eigenthum solcher Gebäude können 
aber geduldete Kirchengesellschaften (wie überhaupt erlaubte Privatgesellschaften § 13 Tit. 6 
A.L. R.) nur mit besonderer Genehmigung des Staates erwerben. Es ist ihnen nicht gestattet, 
sich der Glocken zu bedienen oder öffentliche Feierlichkeiten außerhalb der Mauern ihres Ver- 
sammlungshauses anzustellen, die von ihnen zur Feier ihrer Religionshandlungen bestellten 
Personen genießen als solche keine besonderen persönlichen Rechte (§6& 20—26). 
Bezüglich des Verhältnisses der Kirchengesellschaften gegen den Staat bestimmt §27, daß 
sowohl die öffentlich aufgenommenen, wie die bloß geduldeten, sich in allen Angelegenheiten, 
die sie mit anderen bürgerlichen Gesellschaften gemein haben, nach den Gesetzen des Staates 
richten müssen, und in § 32 ist noch ausdrücklich die private und öffentliche Religionsübung 
einer jeden Kirchengesellschaft der Oberaufsicht des Staates unterworfen. 
Nach § 36 stehen mehrere Kirchengesellschaften, wenn sie gleich zu einerlei Religions- 
partei gehören, unter sich in keiner nothwendigen Verbindung 1); doch bestimmt § 114, daß 
die Kirchengesellschaften einer jeden vom Staate aufgenommenen Religionspartei, über welche 
gemäß §8 113 das geistliche Departement die dem Staate nach den Gesetzen zukommenden, dem 
Oberhaupte des Staates nicht ausdrücklich vorbehaltenen Rechte verwaltet, unter der Direktion 
ihrer geistlichen Oberen stehen. Bei den katholischen Glaubensgenossen ist der Bischof der ge- 
meinschaftliche Vorgesetzte des ihm angewiesenen Distriktes (§ 115); kein Bischof darf aber in 
Religions= und Kirchenangelegenheiten ohne Erlaubniß des Staates (Placet) neue Verord- 
nungen machen oder dergleichen von fremden geistlichen Oberen annehmen. Alle päpstlichen 
Bullen, Breven und alle Verordnungen auswärtiger Oberen der Geistlichkeit müssen vor ihrer 
Publikation und Vollstreckung dem Staate zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt werden. 
Diejenigen Gerechtsame über die Kirchengesellschaften, die nach den Gesetzen dem Staate vor- 
behalten sind, kann der Bischof nur insoferne ausüben, als ihm eine oder die andere vom Staate 
ausdrücklich verliehen worden (§§ 115— 119). Kein auswärtiger Bischof oder anderer geistliche 
Oberer darf sich in Kirchensachen eine gesetzgebende Macht anmaßen oder irgend eine andere 
Gewalt, Direktion oder Gerichtsbarkeit in solchen Sachen ohne ausdrückliche Einwilligung des 
Staates ausüben (88 135, 136). 
Bei den Protestanten kommen die Rechte und Pflichten des Bischofes in Kirchensachen 
der Regel nach den Konsistorien zu (§ 143). 
Dem im Allgemeinen Landrechte zur Geltung gelangten Territorialsysteme, wornach die 
Kirchengewalt ein Bestandtheil der Staatsgewalt und die Kirche ein Staatsinstitut ist, wie 
Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt?), entsprechend gingen auch das Publikandum v. 16/12.1808 
und die V. v. 26/12. 1808 wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei= und Finanz- 
behörden von der Auffassung aus, daß die Verwaltung und Leitung der kirchlichen Angelegen- 
heiten als ein Zweig der allgemeinen Wohlfahrtsverwaltung den allgemeinen Landesverwaltungs- 
behörden zu übertragen und das Bestehen besonderer Kirchenbehörden überflüssig sei. Es wurden 
deshalb auch die (protestantischen) kirchlichen Centralbehörden, soweit sie vorhanden waren, und 
ebenso die Konsistorien aufgehoben, die Befugnisse der ersteren gingen auf den Minister des 
  
1) d. h. unter „Kirchengesellschaften“ werden vom Gesetze bloß Einzelgemeinden verstanden. 
2) Daraus erklärt sich auch die in § 48 a. a. O. getroffene Bestimmung, wornach die von den 
Kirchengesellschaften wegen der äußeren Form und Feier des Gottesdienstes eingeführten Ordnungen 
nach erfolgter staatlicher Genehmigung „mit anderen Polizeigesetzen“ gleiche Kraft und Verbindlichkeit 
haben sollten. 
Handbuch des Oeffentlichen Rechts II, Zwelte Auflage: Preußen. 35
	        
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