§ 136. Das Verhältniß des Staates zu den Religionsgesellschaften überhaupt. 553
d. G.). Durch Art. 9 u. 10 Abs. 1 Nov. 21/5. 1886 ist jedoch dieser Gerichtshof und damit
der durch die §§ 10—23 geschaffene recursus ab abusu beseitigt worden 7).
Nach den noch in Kraft befindlichen Bestimmungen des G. v. 12/5. 1873 können kirch-
liche Disciplinarstrafen, welche gegen die Freiheit oder das Vermögen gerichtet sind, nur nach
Anhörung des Beschuldigten verhängt werden; der Entfernung aus dem Amte (Entlassung,
Versetzung, Suspension und freiwillige Emeritirung u. s. w.) muß ein geordnetes prozessuali-
sches Verfahren vorausgehen, wenn mit der Entfernung aus dem Amte der Verlust oder eine
Minderung des Amtseinkommens verbunden ist. In allen diesen Fällen ist die Entscheidung
schriftlich unter Angabe der Gründe zu erlassen (6 2 G. v. 12/5. 1873, Art. 7 G. v. 21/5.
1886) 70.
Die körperliche Züchtigung ist als kirchliche Disciplinarstrafe oder Zuchtmittel unzu-
lässig. Geldstrafen dürfen den Betrag von 30 Thlr., oder wenn das einmonatliche Amtsein-
kommen höher ist, den Betrag des letzteren nicht übersteigen (§8 3, 4 G. v. 12/5. 1873).
Die Strafe der Freiheitsentziehung darf nur in der Verweisung in eine Demeriten-
anstalt bestehen, deren Dauer drei Monate nicht übersteigen, und deren Vollstreckung wider
den Willen des Betroffenen weder begonnen noch fortgesetzt werden darf. Die Verweisung in
eine außerdeutsche Demeritenanstalt ist unzulässig. Die Demeritenanstalten sind der staatlichen
Aussicht unterworfen (§§ 5, 6, 8 Art. 8 Abs. 3 G. v. 21/5. 1886, Art. 3 G. v. 26/4. 1887).
Eine Vollstreckung kirchlicher Disciplinar-Entscheidungen im Wege der Staatsverwalt-
ung findet nur dann statt, wenn dieselben vom Oberpräsidenten nach erfolgter Prüfung die
Sache für vollstreckbar erklärt worden sind (§ 9 G. v. 12/5. 1873).
III. Nach A.L. R., II 11 .8.19 hatten die bei den öffentlich aufgenommenen Kirchen-
gesellschaften zur Feier des Gottesdienstes und zum Religionsunterricht bestellten Personen
mit anderen Beamten im Staate gleiche Rechte und in den §§ 61 ff. waren eingehende Be-
stimmungen über die rechtliche Stellung der Geistlichen, und ihre Rechte und Pflichten in An-
sehung ihres Amtes gegeben. Diese Bestimmungen, welche mit der territorialistischen im
Landrechte zum Ausdrucke gelangten Anschauung zusammenhingen, sind nach gegenwärtigem
Stande der Gesetzgebung in Bezug auf das Verhältniß von Staat und Kirche auch der evange-
lischen Kirche gegenüber nicht mehr anwendbar. Die Geistlichen und Kirchendiener sind grund-
sätzlich weder als unmittelbare nach als mittelbare Staatsbeamte zu betrachten 3). Nur die
Militär= und Anstaltsgeistlichen, welche vom Staate angestellt sind und diejenigen Geistlichen,
welche staatliche Funktionen versehen, wie z. B. die Schulaufsicht ausüben, haben insoweit die
1) Nach § 24 G. v. 12/5. 1873, bezw. Art. 1 Abs. 1 G. v. 14/7. 1880 kann, abgesehen vom
Falle des recursus ab abusu gegen Kirchendiener, welche die auf ihr Amt oder ihre geistlichen Amts-
verrichtungen bezüglichen Vorschriften der Staatsgesetze oder die in dieser Hinsicht von der Obrigkeit
innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit getroffenen Anordnungen so schwer verletzen, daß ihr Ver-
bleiben im Amte mit der öffentlichen Ordnung unverträglich erscheint, auf Antrag der Staatsbehörde
durch gerichtliches Urtheil auf Unfähigkeit zur Bekleidung ihres Amtes erkannt werden. — Da darüber
der königl. Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten zu entscheiden hatte, dieser Gerichtshof aber nicht
mehr besteht, so kann diese Bestimmung nicht mehr zur Anwendung kommen (vgl. Hinschius, das
preuß. Kirchengesetz, betr. Abänderung der kirchenpolitischen Gesetze v. 21/5. 1886, S. 61 f.).
2) § 1 G. v. 12/5. 1873 hatte bestimmt: „Die kirchliche Disciplinargewalt über Kirchendiener
darf nur von deutschen kirchlichen Behörden ausgeübt werden“. Dieser Paragraph ist beseitigt durch
Art. 6 Abs. 1 G. v. 21/5. 1886 (ogl. darüber Hinschius a. a. O., S. 36 ff.).
3) Vgl. auch R. Str. G. B. § 359. — Eine ganz andere Frage ist es natürlich, ob nicht die Be-
amten des landesherrlichen Kirchenregiments, also die Mitglieder des evangelischen Oberkirchenraths
und der Konsistorien als unmittelbare Staatsbeamte zu betrachten sind, — eine Frage, welche das
Oberverwaltungs-Gericht im Urtheil v. 1/4. 1892 bejaht hat (ogl. Archiv f. öffentl. Recht, VII. Bd.,
S. 427 und dagegen Bierling, ebendaselbst, S. 212).