554 Sechstes Buch: Die Landesverwaltung. IV. Kapitel. 8 137.
Eigenschaft von Staatsbeamten. Nach Reichsrecht und nach Landesrecht genießen aber die
Geistlichen eine Reihe von Privilegien 0.
Nach Reichsrecht stehen ihnen namentlich folgende Privilegien zu: 1. Bei Beleidig-
ungen und Körperverletzungen hat nach R. Str.G.B. 8§ 196, 232 auch der amtliche Vorgesetzte
das Recht des Strafantrages. 2. Sie genießen gewisse Bevorzugungen bei Erfüllung der
Militärpflicht, R. Mil. G. v. 2/5.1874 88 14, 20, 22, 65 u. R.G. v. 6/5.1880, Art. 1 § 2,
Art. 2 R.G. v. 8/2. 1890). 3. Sie sind befreit von gewissen Naturalleistungen für die be-
waffnete Macht im Frieden (R.G. v. 13/2. 1875 § 3 Nr. 4). 4. Sie sind befreit vom
Schöffen= und Geschwornenamt (G.V.G. 8§ 34 Nr. 7 u. § 85). 5. Sie sind befreit vom Amt
eines Standesbeamten (R.G. v. 6/2.1875 § 3). 6. Sie genießen das Privileg der Exekutions-
beschränkung hinsichtlich ihres Mobiliars und Diensteinkommens (C. Pr. O. § 713 Nr. 6 u. 7
u. § 749 Nr. 8).
Auch nach Landesrecht nehmen die Geistlichen vielfach eine Sonderstellung ein. Her-
vorzuheben sind folgende Bestimmungen: 1. Nach § 10f d. G. v. 11/7. 1822, bezw. der V.
v. 23/9. 1867 sind die Dienstbezüge der Geistlichen von allen direkten Gemeindelasten befreit
(vgl. § 41 d. Kommunalabgaben-G. v. 14/7.1893). 2. Ebenso sind sie nach den verschiedenen
Gemeindeverfassungsgesetzen von den Gemeindediensten befreit (ugl. z. B. St. O. v. 30/5. 1853
§54, L.G.O. v. 3/7. 1891 §§ 18 und 29, Kommunalabgaben-G. v. 14/7. 1893) § 68.
3. Andererseits können sie keine unbesoldeten Gemeindeämter übernehmen und nicht Mitglieder
des Kreisausschusses sein (§ 17 St.O. v. 30/5. 1853, § 53 L.G.O. v. 3/7. 1891, a. Kr.O.
§ 181). 4. Ihre Dienstgrundstücke und Dienstwohnungen sind von der Grund= und Gebäude-
steuer befreit (ogl. Grundsteuer-G. v. 21/5. 1861 § 4, Gebäudesteuer-G. v. 21/5. 1861 § 3
Nr. 5, Kommunalabgaben-G. v. 14/7. 1893 § 24U).
§ 137. Die evangelische Kirche ?). I. In der allgemeinen Einleitung ist bereits
darauf hingewiesen worden, daß der in der Verfassungsurkunde zur Anerkennung gelangte
Grundsatz der Selbstständigkeit der Kirchen und des religiösen Lebens vor Allem für die evan-
gelische Kirche Bedeutung hatte, die durch das Territorialsystem völlig ihrer Selbstständigkeit
beraubt worden war. Es handelte sich nunmehr darum, der Kirchenverfassung die nöthige Un-
abhängigkeit und Selbstständigkeit durch synodale Einrichtungen zu geben. Da an dem landes-
herrlichem Kirchenregimente festgehalten wurde, so war nur eine gemischte Verfassung möglich.
Eine solche Verfassung besaßen bereits die westlichen Provinzen in der Kirchen-O. v. 5/3. 1835.
Durch A.E. v. 29/6. 1850 wurde nun „dem Entwurfe einer Gemeindeordnung für die evan-
gelischen Kirchengemeinden der östlichen Provinzen“ die Genehmigung ertheilt und angeordnet,
daß die Einführung dieser Gemeindeordnung herbeigeführt werde. Um diese Einführung zum
Abschlusse zu bringen, bestimmte der A.E. v. 27/2. 1860 (G. S. S. 90), daß in allen evan-
gelischen Kirchengemeinden, in welchen ein für die inneren und äußeren Angelegenheiten der-
selben bestellter kirchlicher Gemeindevorstand (Presbyterium, Gemeindekirchenrath) noch nicht
besteht, ein solcher einzurichten sei. Durch A.EE. v. 5/6. 1861, 5/4. 1862, 21/6. 1862 und
13/6. 1864 wurden hierauf in sämmtlichen östlichen Provinzen Kreissynoden eingeführt, mit der
Aufgabe, die Interessen der zu ihnen verbundenen Gemeinden zu fördern und zu vertreten und
zugleich für die höhere Synodalstufe (die Provinzialsynode) die Vorstufen zu bilden. Nachdem
endlich durch A.E. v. 10/9. 1873 der König „kraft der ihm als Träger des landesherrlichen
1) Hinschius, Art. Geistliche in Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts, II, S. 493.
2) Trusen, das preuß. Kirchenrecht im Bereiche der evangel. Landeskirche. — Zorn, Art.
Evangelische Kirche in Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts, I. S. 367 ff. — Zorn, Lehrbuch
des Kirchenrechts, S. 359 ff. — Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., II, S. 392 ff.
— Schulze, das preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., II, S. 491 ff. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht,
III, S. 638 ff.