42 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. I. Kapitel. §9 15.
3. Die Abstammung smuß eine eheliche sein und zwar so, daß nicht bloß der
Thronfolgefähige aus rechtmäßiger Ehe geboren sein muß, sondern auch alle seine Ascendenten
bis zum ersten Erwerber ehelicher Abstammung sein müssen. Die Geburt aus rechtmäßiger
Ehe kann durch Legitimation, sei es durch nachfolgende Ehe, sei es durch Rescript nicht ersetzt
werden. Für die Frage der Rechtmäßigkeit einer Ehe ist das bürgerliche Recht maßgebend;
für die Eheschließungsform kommt jetzt § 72 R.G. v. 6/2. 1875 zur Anwendung.
4. Abstammung aus einer hausgesetzlich gültigen Ehe. Zur hausgesetzlichen
Gültigkeit einer Ehe wird erfordert: a) der hausgesetzliche Konsens des Königs als Familien-
oberhaupt; b) die Ebenbürtigkeit. Ebenbürtig ist aber nach Familienherkommen nur die Ehe
eines Mitgliedes des preußischen Königshauses mit dem Mitglied eines regierenden Hauses,
gleichgüllig ob es noch regiert oder früher regierte. Als ebenbürtig werden auch betrachtet die
ehemals reichsständischen Familien, dagegen nicht die reichsgräflichen Personalisten.
5. Abstammung vom Mannsstamme und männliches Geschlecht. Ausge-
schlossen sind daher nicht bloß die Frauen, sondern auch deren mämiche Desscendenten.
Nicht Voraussetzung der Thronfolgefähigkeit ist Regierungsfähigkeit; auch der Regier-
ungsunfähige erwirbt die Krone, wird jedoch in der Ausübung der Regierungsgewalt von einem
Regenten vertreten. Ebenso ist die Thronfolgefähigkeit nicht abhängig von einem bestimmten
Bekenntnisse, da die Freiheit des religiösen Bekenntnisses unbedingt gewährleistet und eine
Ausnahme bezüglich des Herrschers nicht gemacht ist!#).
Die Thronfolgefähigkeit ergiebt den Kreis von Personen, an welche die Krone überhaupt
fallen kann, die Thronfolgeordnung dagegen ist die Reihenfolge, in der die Krone von
einem Mitgliede des königlichen Hauses auf ein anderes übergeht. Nach der V. U. Art. 53
erfolgt dieser Uebergang nach dem Rechte der Erstgeburt?) und der agnatischen Linealfolge,
eine Thronfolgeordnung, welche den Grundsatz der Untheilbarkeit des Staates zum Aus-
drucke bringt, denn es kann nach derselben stets nur Einer der Thronfolgebefähigten zur Krone
gelangen. Nach dem System der agnatisch-linealen Erbfolge mit dem Vorrechte der Erstgeburt,
entscheidet zunächst das Alter zwischen den Söhnen des ersten Erwerbers und da gegenwärtig
die Mitglieder des preußischen Königshauses sämmtlich von König Friedrich Wilhelm II. ab-
stammen, das Alter zwischen dessen beiden Söhnen. Von da ab tritt Linealfolge ein, d. h. die
von dessen jüngeren Sohne abstammende Linie kann erst dann zur Thronfolge gelangen, wenn
der thronfolgefähige Mannsstamm der älteren Linie ausgestorben ist. Innerhalb jeder Linie
kommt wieder der Vorzug der Erstgeburt zur Geltung. Eine Berücksichtigung der Nähe des
Verwandtschaftsgrades zum letzten Träger der Krone findet selbstverständlich nicht statt.
Ob bei der Thronfolgeordnung auch der nasciturus in Betracht kommt, darüber ist
weder in der Verfassungsurkunde noch in den Hausgesetzen etwas bestimmt. Nach allgemeiner
Rechtsanschauung bleibt in einem solchen Falle die Entscheidung über die Thronfolge in der
Schwebe, bis entweder ein Agnat geboren ist oder feststeht, daß keiner geboren wird; in der
Zwischenzeit tritt für den nasciturus Regentschaft ein.
Die preußische V. U. regelt in Art. 53 lediglich die sog. ordentliche Thronfolge des
Mannsstamms, trifft dagegen über das eventuelle Eintreten derkognatischen Erbfolge
keinerlei Bestimmungen. Da sich die kognatische Thronfolge nicht von selbst versteht, könnte
im Falle des Aussterbens des Mannsstamms der Weibsstamm nur auf Grund eines neuen
Verfassungsgesetzes zur Thronfolge gelangen. Ebenso ist durch die V.U. die Erlangung der
1) Die goldene Bulle forderte in Kap. 7 88 2 und 3 im Einklang mit dem gemeinen Lehen-
rechte zur Regierungsfähigkeit in den Kurlanden weltlichen Stand. Dieses Erforderniß, den preuß.
Hausgesetzen unbekannt, ist auch deßhalb bedeutungslos, weil die evangelische Kirche, zu der sich die
preußische Königsfamilie bekennt, keinen besonderen geistlichen Stand im Sinne des kanonischen
Rechts kennt.
2) Dies gilt natürlich auch, wenn Zwillinge geboren werden.