566 Sechstes Buch: Die Landesverwaltung. IV. Kapitel. § 139.
und Pfründneranstalten, Rettungsanstalten, Asylen und Schutzanstalten für sittlich gefährdete
Personen, Arbeiterkolonien u. s. w. Endlich wurden durch Art. 5 §8§ 1—3 Nov. v. 29/4. 1887
(G. S. S. 127) im Gebiete der preußischen Monarchie wieder zugelassen, diejenigen Orden und
ordensähnlichen Kongregationen der katholischen Kirche, welche sich a) der Aushilfe in der Seel-
sorge, b) der Uebung der christlichen Nächstenliebe, ch dem Unterrichte und der Erziehung der
weiblichen Jugend in höheren Mädchenschulen und gleichartigen Erziehungsanstalten widmen,
d) deren Mitgileder ein beschauliches Leben führen. Außerdem wurden die Minister des Innern
und der geistlichen Angelegenheiten ermächtigt, den noch bestehenden, sowie den wieder zuge-
lassenen Orden und Kongregationen die Ausbildung von Missionaren für den Dienst im Aus-
lande, sowie zu diesem Behufe die Errichtung von Niederlassungen zu gestatten. Endlich be-
stimmte § 4 Art. 5 d. Nov. 29/4. 1887 bezüglich des vom Staate in Verwahrung und Ver-
waltung genommenen Vermögens der aufgelösten Niederlassungen, daß dasselbe den betreffen-
den, wieder errichteten Niederlassungen zurückzugeben sei, sobald dieselben Korporationsrechte
besitzen und in rechtsverbindlicher Weise die Verpflichtung zur Unterhaltung der Mitglieder der
aufgelösten Niederlassungen übernommen haben.
§139. Die übrigen Religionsgesellschaften 1). I. Neben den öffentlich aufgenommenen
und mit besonderen Vorrechten ausgestatteten Religionsgesellschaften (den Kirchen) stehen a) die
nicht öffentlich aufgenommenen, aber mit Korporationsrechten versehenen Religionsgesellschaften,
b) die nicht mit Korporationsrechten versehenen Religionsgesellschaften. Diesen letzteren Reli-
gionsgesellschaften gegenüber nimmt der Staat, abgesehen von einigen, für alle Religions-
gesellschaften geltenden gesetzlichen Vorschriften (vgl. § 136) keine andere Stellung ein, wie
gegenüber jedem erlaubten Privatverein. Diese dem allgemeinen Vereinsrechte unterstehenden
Religionsgesellschaften sind daher nicht weiter zu berücksichtigen, dagegen müssen die nicht öffent-
lich aufgenommenen, aber mit Korporationsrechten versehenen Religionsgeschaften besprochen
werden.
II. Religionsgesellschaften, welche keine Korporationsrechte besitzen, können solche nach
Art. 12 V. U. nur durch besondere Gesetze erlangen. Durch die Verleihung der Korporations=
rechte erhalten die betreffenden religiösen Gemeinden — nicht deren Gesammtheit — die Eigen-
schaft selbstständiger Rechtssubjekte und damit die an diese Eigenschaft geknüpften Rechte, da-
gegen nicht die Vorrechte der öffentlich aufgenommenen Kirchen, namentlich haben ihre Reli-
gionsdiener nicht die Stellung staatlicher Beamten. Die vermögensrechtlichen Beziehungen
solcher „Religionsgesellschaften“ zu ihren Mitgliedern sowohl, wie zu dritten Personen be-
messen sich lediglich nach den Vorschriften des Privatrechtes. Namentlich ist — vorbehaltlich
ausdrücklicher gesetzlicher Vorschriften — die Beitreibung der auf dem religiösen Gemeinde-
verbande beruhenden Beiträge im Wege des Verwaltungszwangsverfahrens nicht zulässig. Es
ist nur der Civilrechtsweg möglich.
III. Zu den hier in Betracht kommenden Religionsgesellschaften gehören: 1. Die von
der Gemeinschaft der evangelischen Landeskirche sich getrennt haltenden Lutheraner (der alten
Provinzen), die sogenannten Altlutheraner, deren Verfassung auf der Generalkonzession
v. 23/7. 1845 (G.S S. 516) beruht. Dieselbe gestattet den sogenannten Altlutheranern die
Bildung besonderer Kirchengemeinden und die Vereinigung dieser Gemeinden unter einem ge-
meinsamen, dem Kirchenregimente der evangelischen Landeskirche nicht untergebenen Vorstande.
Die Bildung jeder einzelnen Gemeinde bedarf der Genehmigung der Minister der geistlichen
Angelegenheiten, des Innern und der Justiz. Durch die Ertheilung der Genehmigung er-
wirbt die Kirchengemeinde die Rechte einer Korporation, ihre gottesdienstlichen Gebäude er-
1) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., IV, S. 151 ff. — Bornhak,
Preußisches Staatsrecht, III. S. 658 ff. — Makower, Ueber die Gemeindeverhältnisse der Juden in
Preußen, 1873.