570 Siebentes Buch: Die auswärtigen Angelegenheiten. 8 141.
R. V. das Reich in Bezug auf das Konsulatwesen ausschließlich zuständig ist. Auch bezüglich
der Post= und Telegraphenverträge ist die Zuständigkeit des Reiches gemäß Art. 48
R.V. grundsätzlich eine ausschließende, doch können die Einzelstaaten nach Art. 49 des Post-
vertrages v. 23/11. 1867 mit anderen Staaten Verträge über das Post= und Telegraphen-
wesen abschließen, sofern sie lediglich den Grenzverkehr betreffen.
Was im Uebrigen die im Art. 4 R.V. aufgeführten in die Zuständigkeit des Reiches
fallenden Angelegenheiten anlangt, so ist in dieser Hinsicht die Zuständigkeit des Reiches keine
ausschließende; vielmehr können die Einzelstaaten die fraglichen Angelegenheiten, sowohl in der
Form des Vertrages wie des Gesetzes insolange selbstständig regeln, als das Reich von seiner
Zuständigkeit keinen Gebrauch gemacht hat; allerdings sind derartige Verträge stets unter der
stillschweigenden Bedingung abgeschlossen, daß sie hinfällig werden, sobald das Reich von seiner
Zuständigkeit Gebrauch macht. Aber auch dann, wenn das Reich von seiner Zuständigkeit Ge-
brauch gemacht hat, ist das Vertragsrecht der Einzelstaaten insoferne nicht ausgeschlossen, als
die Einzelstaaten Ausführungsbestimmungen erlassen können und die Verwaltung der betreffen-
den Angelegenheiten nach Maßgabe der Reichsgesetze zu führen haben, die Einzelstaaten können
in diesen Fällen über die ihnen vorbehaltenen Rechtsvorschriften, bezw. die Verwaltung der
betreffenden Angelegenheiten je nach Lage des Falles entweder Verträge mit anderen Einzel-
staaten schließen, wie z. B. die Militärkonventionen, welche verschiedene Staaten mit Preußen
eingegangen sind und die Verträge über die Errichtung gemeinschaftlicher Gerichte, oder sie
können selbst Vereinbarungen mit außerdeutschen Staaten treffen, wie z. B. Rechtshilfe= und
Auslieferungsverträge.
Auf denjenigen Gebieten endlich, auf denen die Zuständigkeit des Reiches überhaupt
nicht eingreift, steht den Einzelstaaten grundsätzlich volle Vertragsfreiheit zu, wie sie die be-
treffenden Gegenstände selbstständig im Wege der Gesetzgebung regeln können.
Zu beachten ist jedoch, daß auch insoweit die Einzelstaaten das Recht zum Abschluß von
Staatsverträgen haben, sie in Folge ihrer Unterordnung unter das Reich verpflichtet sind, Ver-
träge mit auswärtigen Staaten oder auch mit deutschen Staaten zu unterlassen, welche gegen
die Sicherheit, Integrität und Existenz des deutschen Reiches oder eines Bundesgliedes ge-
richtet sind, und daß sie alles vermeiden müssen, was die Interessen der deutschen Politik
durchkreuzen und dem Reiche die Verbindlichkeit auferlegen könnte, die Interessen des Einzel-
staates gewaltsam zu vertreten.
Es kommt hierbei in Betracht, daß die Einzelstaaten gar nicht mehr in der Lage sind,
internationale Zwangsmittel, wie Repressalien und Krieg anzuwenden, um den Mitkontra-
henten eines Staatsvertrages zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten anzuhalten. Diese Mittel
stehen bloß dem Reiche zu ½.
II. Was nun den Abschluß von Staatsverträgen iu Preußen betrifft, so sagt die V. U.
Art. 48: „Der König hat das Recht Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, auch andere
1) Haben die Einzelstaaten vor dem Eintritte in das Reich Staatsverträge über Gegenstände
abgeschlossen, die in die ausschließende oder konkurrirende Zuständigkeit des Reiches fallen, so fragt es
sich, ob diese Verträge von selbst dadurch außer Kraft treten, daß das Reich den betreffenden Gegen-
stand in einer dem Inhalte des Vertrages widersprechenden Weise im Wege des Gesetzes oder des Staats-
vertrages regelt. Diese Frage ist zu bejahen. Bornhak a. a. O., S. 5/6 verneint dieselbe, weil der
Einzelstaat den Vertrag als vollkommen souveränes Gemeinwesen schloß und die durch denselben be-
gründete frühere Verpflichtung der späteren, durch den Eintritt in das Reich entstandenen vorgehe; das
Reich könne daher über Gegenstände, welche den Inhalt eines solchen Vertrages bilden, keine demselben
widersprechenden Gesetze erlassen oder Verträge abschließen, sondern sei auch seinerseits durch jene inter-
nationalen Akte gebunden; nur zur rechtzeitigen Kündigung der Verträge könne das Reich die betreffen-
den Einzelstaaten veranlassen. Diese Auffassung ist nicht richtig, denn so gut jedes frühere von einem
Einzelstaate „als vollkommen souveränem Gemeinwesen“ erlassenen Landesgesetz jedem späteren Reichs-
gesetz zu weichen hat, müssen auch derartige Verträge Reichsgesetzen, bezw. vom Reiche abgeschlossenen
Verträgen gegenüber zurücktreten.