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preußischen Krone auf Grund einer schon bestehenden oder erst abzuschließenden Erbver-
brüderung ausgeschlossen, da die V. U. nur die im Artikel 53 geregelte Thronfolgeordnung
kennt. Der zwischen Preußen, Hessen und Sachsen schon im 14. Jahrhundert geschlossenen
und später wiederholt erneuerten Erbverbrüderung kann übrigens schon um deswillen keine recht-
liche Gültigkeit beigelegt werden, weil dieselbe eine Theilung des preußischen Staats zur Folge
haben würde, die nach dem gegenwärtig geltenden Verfassungsrechte ausgeschlossen ist.
Der Erwerb der Krone tritt nach dem dem Wesen der monarchischen Thronfolge ent-
sprechenden Grundsatze des deutschen Rechts von Rechtswegen im Augenblicke der Throner-
ledigung durch Tod oder Verzicht des bisherigen Throninhabers ein. Selbstverständlich ist
jedoch der Thronfolgeberechtigte, da er nicht verpflichtet ist, die ihm angefallene Herrschaft aus-
zuüben, befugt, auf die Krone sofort wieder zu verzichten, dieselbe auszuschlagen. Obwohl der
Uebergang der Krone ohne jede weitere Willenserklärung erfolgt, so ist doch der thatsächliche
Regierungsantritt mit einzelnen theils vorgeschriebenen, theils herkömmlichen Förmlichkeiten
verbunden. Artikel 54 Abs. 2 V. U. schreibt nämlich vor, daß der König in Gegenwart der
vereinigten Häuser des Landtags das eidliche Gelöbniß leistet, die Verfassung des Königreichs
fest und unverbrüchlich zu halten und in Uebereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu
regieren. Diese Eidesleistung hat nur die Bedeutung einer moralischen Garantie für die gesetz-
mäßige Regierung des Königs, ist aber keine Bedingung des Kronerwerbs oder Regierungsan-
tritts, hat also keinerlei staatsrechtliche Bedeutung. Das gleiche gilt von dem herkömmlichen
Erlasse einer Proklamation an die Unterthanen, einer etwaigen Krönung oder Erbhuldigung
oder sonstigen Förmlichkeiten bei einem Thronwechsel.
Gegenstand des Erwerbs ist die sog. Staatsverlassenschaft, d. h. die Staatsgewalt
mit allen Zubehörungen, während der Uebergang der Privatverlassenschaft des Königs nicht
nach dem Thronfolgerecht, sondern nach dem für das landesherrliche Haus geltenden Privat-
rechte sich bemißt.
II. Verlust der Krone. Da eine Absetzung des Königs, der eine höhere Gewalt nicht
über sich hat nicht möglich ist, so geht die Herrschaft nur verloren a) durch den Tod, b) durch
Verzicht. Die Verfassungsurkunde erwähnt den Verzicht nicht, doch kann an der Zulässigkeit
desselben nicht gezweifelt werden. Aus der Natur der Thronfolgeordnung wie des Inhalts
der Krone ergiebt sich, daß der Verzicht auf die Krone nur für die Person des Abdankenden
wirkt, nicht aber für seine vorhandenen oder künftigen Nachkommen Bedeutung hat, und daß
er ohne Bedingung und Befristung und ohne Vorbehalt abgegeben werden muß.
Da es sich bei der Abdankung um eine Handlung mit rechtlichen Folgen handelt, so setzt
die Gültigkeit des Verzichts auf die Krone Handlungsfähigkeit des Verzichtenden voraus, ein
handlungsunfähiger Monarch kann nicht verzichten. Die Form des Verzichts ist gleichgültig,
es ist auch stillschweigender Verzicht, z. B. durch Nichtantritt der Regierung möglich.
Der zurückgetretene König wird Unterthan seines Nachfolgers und ist als Mitglied des
königlichen Hauses der Familiengewalt des Staatsoberhaupts unterworfen, behält aber nach
allgemein anerkanntem Herkommen den königlichen Titel und die damit verbundenen Ehrenrechte.
§ 16. Regentschaft und Regierungsstellvertretung !). I. Da Regierungsunfähigkeit
weder den Erwerb der Krone verhindert noch deren Verlust zur Folge hat, so ist die Möglichkeit
gegeben, daß der rechtliche Inhaber der Krone thatsächlich nicht in der Lage ist, die Regierung
auszuüben. Nun fordert es aber das Wesen des Staats, daß die Regicrung keine Unter-
brechung leidet; es muß deshalb die Regierung an Stelle des regierungsunfähigen Königs
durch eine andere regierungsfähige Person, einen Regenten ausgeübt werden.
1) H. Schulze, das preuß. Landrecht, 2. Aufl., I, S. 205 ff. — Rönne, das Staatsrecht
der preuß. Monarchie, 4. Aufl., I, S. 179 ff. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, I. S. 191. —
Hanke, Regentschaft und Stellvertretung, 1888. — Peters, die Regentschaft und Regierungsstell-
vertretung der deutschenn Landesherren, 1890.